Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt

Liebe Leserinnen und Leser!

Nach der Lektüre von Büchern wie →“Befreiung vom Überfluss„, →„Wieviel ist genug“ oder →„Wohlstand ohne Wachstum“ war mir klar: Das Bruttoinlandsprodukt ist keine sinnvolle Messgröße, um gesellschaftlichen und individuellen Wohlstand oder Lebensqualität zu messen. Es ist ebensowenig eine zieldienliche Kennzahl, um politische und gesellschaftliche Impulse zu setzen, die zu einer menschlichen Wirtschaft führen. Ich hatte vielmehr begriffen, dass wir Alternativen zum BIP brauchen. Aber welche anderen Möglichkeiten gibt es? Welche Entwicklungen gab und gibt es? Diese Lücke schließt das kleine Buch von Hans Diefenbacher und Roland Zieschank.

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Die beiden Autoren beleuchten in den ersten beiden Kapitel die Erfolgsgeschichte und heutigen Schwierigkeiten der sehr eindimensionalen Kennziffer des BIP. Dahinter verbergen sich drei Illusionen, die das BIP und die bis heute andauernde Sucht nach Wachstum als Sackgasse enttarnen:

  • Seit den 1970ern wurde die erwünschte durchschnittliche Wachstumsrate von drei Prozent nicht mehr erreicht.
  • Negative ökologische und soziale Folgen und deren ökonomische Begleiterscheinungen werden vom BIP nicht erfasst, teils sogar als Wachstum hineingerechnet (wie beispielsweise Reparaturen nach Verkehrsunfällen).
  • Wachstum und damit die Aufrechterhaltung eines positiven BIP ist ebenso an massive öffentliche und private Verschuldung gekoppelt, wie an die Erzeugung virtueller Finanzprodukte.

Wir brauchen also Alternativen. Und derer gibt es weitaus mehr und auch schon länger, als ich dachte. Diefenbacher und Zieschank stellen sie kurz in einem griffigen Überblick zusammen:

  • In den USA wurde bemerkte bereits 1967 Robert Kennedy: „Wir können unsere nationale Leistung nicht anhand des Bruttosozialprodukts messen … Es misst alles, außer diejenigen Dinge, die das Leben lebenswert machen. So wurde folgerichtig 1972 das „Maß für ökonomische Wohlfahrt“ (MEW) entwickelt. Ende der 1980er kam dann der Index for sustainable Economic Welfare“ ins Gespräch. Daraus wurde Anfang der 2000er der „Genuine Progress Indicator“ (GPI) entwickelt.
  • Japan entwickelte 1974 den „Index für Nettowohlfahrt“ (Net National Welfare, NNW).
  • Der griechische Volkswirt Xenophon Zolotas entwickelte 1981 einen weiteren Wohlfahrtsindex, in den Ausgaben für Luft- und Gewässerreinhaltung und dergleichen mehr eingerechnet wurde.
  • In Buthan hatte sich seit 1976 der „Gross National Happiness Indicator“ (GNH) entwickelt. Dieser Index soll nicht nur eine Ergänzung des „Gross National Product“ (GNP = Bruttonationaleinkommen) ergänzen, sondern als „Grundlage des weiteren gesellschaftlichen Aufbaus dienen…“ (S. 44f).
  • Aus dem GNH wiederum folgte im Westen in Kanada im Jahr 2009 der „Canadian Index of Wellbeing“ (CIW).
  • In China und Taiwan wurde versucht, ein „grünes Bruttosozialprodukt“ zu erstellen.
  • In Großbritannien arbeitet die New Economic Foundation an einer „Nationalen Bilanz des Wohlergehens“.
  • Nicolas Sarkozy setzte eine Kommission unter der Leitung des Nobelpreisträgers Joseph Stieglitz ein, um alternative Lebensqualitätskonzepte zu erarbeiten.
  • Aber es waren und sind nicht nur einzelne Nationen, die neue Wege suchen. Auch transnationale Vereinigungen arbeiten an neuen Lösungen. Die wirtschaftsnahe OECD kam in ihrer Istanbul Declaration zu dem Ergebnis, „dass es notwendig ist, gesellschaftlichen Fortschritt in allen Ländern jenseits herkömmlicher Kennziffern wie des BIP pro Kopf zu messen.“ (S. 46). Die EU veranstaltete 2007 die Konferenz „Beyond GDP“ mit Vertretern des Club of Rome, WWF, der Weltbank, UN und internationalen Statistikbehörden wie EUROSTAT.

Es ist also kaum zu übersehen: Es gibt eine weitreichende, internationale Bewegung, um Wohlstand und Wohlfahrt umfassender und treffender zu messen und zu steuern, als dies bislang mit dem BIP und verwandten Konzepten möglich ist.

Allerdings gibt es noch eine Menge Probleme zu lösen. Grundsätzlich gibt es zwei Strömungen, Lebensqualität und Wohlfahrt zu messen und zu steuern: Eine individuelle Perspektive einzelner Bürgerinnen und Bürger und eine gesellschaftliche Sichtweise, die sich am Gemeinwohl orientiert. Desweiteren stellt sich die wichtige Frage, ob ein Glücksindex wie aus Buthan („Gross National Happiness Indicator“) oder der „Happy Planet Index“ der britischen New Economic Foundation überhaupt international durchgängig angewendet werden kann. Darauf verwiesen auch schon Robert und Edward Skidelsky in ihrem großartigen Buch →„Wieviel ist genug“.

Trotz all dieser Schwierigkeiten schließen die beiden Autoren zu Recht, dass dies kein Grund sei, sich entmutigen zu lassen und statt dessen die Diskussionen und Entwicklungen weiterzuführen. Schließlich lautet ihre abschließende These: „Staaten, die sich frühzeitig mit dem Thema eins möglichen „Zero Growth“ und einer … Suffizienzstrategie befassen, werden in Zukunft weniger krisenanfällig sein.“ (S. 93). Den Skeptikern entgegnen Sie in Ihrem Schlussatz, dass uns das BIP ja erhalten bliebe – allein: „Es hilft uns nur nicht viel weiter.“ (a.a.O.)

Fazit: Ein kleines, feines Buch, das einen hervorragenden Überblick über das Ringen um eine intelligente Messbarkeit von Wohlstand bietet. Für alle interessant, die nicht mehr an die eindimensionale Kennziffer des BIP glauben.

 

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Diefenbacher, H., Zieschank, R. (2011): Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt. Alternativen zum Bruttosozialprodukt. oekom. Taschenbuch, 112 Seiten. 12,95€

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