„Vorwärts und nicht vergessen…“
Liebe Leserinnen und Leser!
Auf meiner Suche nach ungewöhnlichen Unternehmen, die erfolgreich die ewig gleichen Mythen der Unternehmensgestaltung und – Steuerung widerlegen, bin ich vor geraumer Zeit auf die Hoppmann Autowelt aufmerksam geworden. Nachdem ich begriffen hatte, wie in diesem Unternehmen schon seit 1969 (!) Wirtschaftsdemokratie gelebt wird, nahm ich Kontakt mit dem jetzigen Geschäftsführer Bruno Kemper auf. Er ließ mir freundlicherweise nach unserem ersten Telefonat gleich zwei Bücher und eine Broschüre über das System Hoppmann zukommen. Eines dieser Bücher stelle ich hier nun vor. Es ist ein Sammelband aus dem Jahr 1998, in dem aus verschiedenen Perspektiven das Modell- und Vorzeigeunternehmen durchaus kritisch beschrieben wird.
Ich habe erstaunlich lange gebraucht, um einen vollkommen verrückten Tatbestand zu erkennen und zu verstehen: Fast alle Menschen demokratischer Länder sind stolz auf ihre Demokratie und die damit verbundenen gesellschaftlichen Werte. Auf wundersame Weise entsteht dann aber eine demokratiefreie Blase in unserer Gesellschaft, in der beispielsweise die im Grundgesetz verbrieften Rechte Deutscher Bürger plötzlich keine Gültigkeit mehr haben. Unternehmer, Geschäftsführer, Vorstände und weitere höhere Führungskräfte sowie Wirtschaftswissenschaftler kommen allen Ernstes mit dem ewig gleichen Mantra: „Ein Unternehmen ist keine demokratische Veranstaltung.“ Ja warum eigentlich nicht? Wieso, bitte schön, trauen wir den Bürgern zu, sich eine Meinung über ihre zukünftige Regierung zu bilden und diese auch zu wählen; wieso dürfen wir alle unsere Meinung frei äußern, ohne dafür politisch verfolgt zu werden; wieso sind wir vor dem Gesetz alle gleich? Wieso? Ich denke die Antworten sind klar. Aber wieso gilt dies alles in Unternehmen nicht mehr? Leiden die dort Angestellten plötzlich unter einem kollektiven Intelligenz- und Verantwortungsverlust? Sind Unternehmen eine komplexere Veranstaltung als unsere Gesellschaft? Ist die Teilmenge größer als ihre Obermenge?
Klaus Hoppmann übernahm 1957 nach dem Tod seines Vaters mit 21 Jahren dessen 1936 gegründetes, ebenfalls 21 jähriges Autohaus. Er „sah (sich) plötzlich als Herr über ungefähr 130 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und über die entsprechenden betrieblichen Einrichtungen, und … wußte ja, (er) hatte dazu kaum einen wesentlichen Beitrag geleistet.“ (S. 27) Alleine das ist schon bemerkenswert: Wieviele Söhne oder Töchter kommen ohne eigene Leistung zu einem Unternehmen und sehen es als völlig normal an, eben mal ein Unternehmen zu erben, mit allem was da dranhängt. Hoppmanns Einsichten gingen aber noch weiter: „Außerdem war ich auf die Mitarbeit der älteren und erfahrenen Angestellten, Arbeiter und Fachleute angewiesen weil ich selbst so gut wie keine Erfahrungen hatte.“ (ebnd.) Daraus erwuchs zunächst die Frage, wie eine gerechte Verteilung der betrieblichen Gewinne möglich ist. Der erste Schritt war eine weitreichende, intelligent aufgebaute Gewinnbeteiligung.
Das war der Beginn dessen, was heute Hoppmann auszumachen scheint. Alle Führungskräfte und MitarbeiterInnen werden „als mündige Bürgerinnen und Bürger ernst genommen“ (S. 130) Sie dürfen und sollen im Gegensatz zu den Angestellten der meisten anderen Unternehmen weltweit nicht nur „im Privatleben voll Mensch sein…“ (ebnd.) Der Weg erforderte viel Geduld und war wohl ein intensiver Lernprozess. Am Anfang stand die Bildung eines Wirtschaftsausschusses als wichtigstem Entscheidungsorgan: „Es sind Investitionen, Bauvorhaben, das Verkaufsprogramm, neue Planstellen, Beteiligungen an anderen Firmen, also kurz alles, was die Interessen der Mitarbeiter irgendwie berühren könnte.“ (S. 29) Hoppmann ging mit Feingefühl vor, so dass dieses Gremium zunächst aus je drei Arbeitgeber- und Arbeitenehmervertretern und dem Chef besetzt war. Letzterer war das Zünglein an der Waage. Es gab Anfangs also noch eine Asymmetrie, ein klares Ungleichgewicht, einen Vorteil zugunsten der Arbeitgeberseite. 1973 dann war es soweit: Die volle Parität wurde hergestellt: je vier Vertreter der beiden Seiten ohne ein Letztentscheidungsrecht auf einer der beiden Seiten.
Nachdem auch dieser Schritt das Unternehmen menschlich und wirtschaftliche voranbrachte, erfolgte die Einrichtung sogenannter „Arbeitsgruppen“. Dieser Schritt war „das Element, was das Zusammenleben bei uns im Betrieb am meisten verändert hat.“ (S. 33), so Bruno Kemper. Anfänglich waren es 19 Arbeitsgruppen, die jeweils einem Bereich und Vorgesetzten zugeordnet waren. Es gab Arbeitsgruppen der Lageristen, Lackierer, Verkäufer und dergleichen mehr. Die Arbeitsgruppen sollten beispielsweise ermöglichen, die Situation am Arbeitsplatz im täglichen Leben mitzubestimmen, bei Wechseln des Arbeitsplatzes oder Ernennung von Vorgesetzten mitzugestalten.
Der letzte, für viele Unternehmer und Inhaber sicher radikalste Schritt, bestand in einer Neutralisierung des Kapitals: Klaus Hoppmann begann über eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Grundkapital des Unternehmens nachzudenken. Das Ergebnis: „Ich habe mich dann nach längerem Hin und Her dafür entschieden, das Kapital zu neutralisieren, also ganz auf private Kapitalbesitzer zu verzichten.“ (S. 34) Der Vordenker-Unternehmer Hoppmann realisierte das 1974 durch die Gründung der gemeinnützigen Stiftung „Demokratie im Alltag„, der er das Firmenvermögen übertrug und es so dem privaten Zugriff entzogen hatte.
Aber all dies, so weit es auch geht, würde nicht ausreichen, um alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgreich in die Geschicke des Unternehmens einzubinden. Denn nur weil den Mitarbeiterinnen das Recht zur Mitbestimmung gegeben wird, können Sie es noch längst nicht immer sinnvoll nutzen. Und so wurden die strukturellen Veränderungen langfristig von kontinuierlichen Weiterbildungen flankiert, die die fachlichen und sozialen Kompetenzen stärken und aufbauen (→“Menschenbildstörung„, mein Post dazu bei crowdintuition)
Heute, 78 Jahre nach Gründung der Firma, lebt das Autohaus Hoppmann immer noch. Es ist, entgegen aller Unkenrufe, nicht nur der Insolvenz entgangen und vegetiert mehr schlecht als recht vor sich hin. Nein, das Unternehmen konnte organisch weiter wachsen, aus den rund 130 Mitarbeitern 1957 sind mittlerweile 300 geworden. Das ehemalige Opel-Autohaus hat sich stabiler und breitflächiger aufgestellt und vertritt heute sieben verschieden Marken: Alfa Romeo, Audi, Chevrolet, Fiat, Opel, Skoda und VW.
Schade ist nur, dass das Buch leider doch in Vergessenheit geraten ist. Ein Jammer, wenn auch der Titel und die gesamte Aufmachung für mein Gefühl nicht verkaufsförderlich waren. Besonders wenn ich in Rechnung stelle, dass absurderweise gerade Gewerkschafter das Modell Hoppmann angreifen, nur weil sie befürchten, dass sie in ihrer Funktion eines Tages überflüssig sein könnten – was doch eigentlich ihr größtes Glück bedeuten müsste. Das ist tragikomisch. Umso beeindruckender, dass das Modell Hoppmann immer festere Wurzeln schlägt.
Fazit: Ein Buch das durch und durch ermutigend ist. Mit konkreten Lösungen für Fragen, wenn Angestellte als mündige Bürger ernst genommen werden.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Belitz, W. (1998) (Hg.): „Vorwärts und nicht vergessen…“ Das Reformunternehmen Hoppmann 1961-1997. Ursel Busch Fachverlag. Paperback, 160 Seiten.
Sehr guter Buchtipp und eine schöne Rezension, vielen Dank!
Hey Niels, freut mich, dass Dir die Rezi gefiel. Und danke fürs „Danke“ 🙂