Vegan für alle
Liebe Leserinnen und Leser!
Irgendwie hatte vor kurzem Jan Bredacks Buch „Vegan für alle“ den Weg in meine virtuelle Bibliothek gefunden. Und dafür gibt es verdammt gute Gründe. Es ist nicht einfach ein Buch mehr, dass den Verzehr tierischer Produkte kritisiert, gar missionieren will, oder die neue vegane Fitness und Hard-Body-Kultur ausruft. Bredack hat eine intensive Überholspurkarriere in einem der klassischsten der deutschen Konzerne hinter sich gebracht. Er war – seine Worte – ein echtes Arschloch, ein mieser Familienvater – und: Ein Karnivore vor dem Herrn, hat offensichtlich jahrzehntelang ohne jegliche Reflexion seine Zähne in Fleisch geschlagen; mehr noch: hat sich gemeinsam mit seinen großartigen Managementkollegen lustig gemacht über diejenigen, die für eine reflektiertere Lebensweise eintreten. Es gab gute Gründe für einen echten Wandel vom Saulus zum Paulus, für ein Buch, das viel mehr ist als eine neuer Veganklassiker. Bredack überzeugt mich durch seine schonungslose Selbstkritik und die Verbindung veganer Lebensweise mit einem allgemeinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel.
Der allererste Absatz platzt vor Präsenz: „Ich bin ein Verkäufer. Ich habe mit Autos gehandelt, jetzt handle ich mit Lebensmitteln. Das ist mein Metier. Und ich will Ihnen etwas verkaufen.. Ich verkaufe Ihnen eine Idee.“ Bumm. Kein langes Geschwafel, keine trickreichen oder ziselierten Herleitungen, Geschichten, Metaphern. Und gleichzeitig wird glaubhaft spürbar: Trotzdem will er niemanden bekehren, will nicht missionieren, obwohl er eigentlich gute Gründe dafür hätte. Denn sein Leben war alles andere als eine geradlinige Autobahn zum Konsumglück.
Bredack ist Ossi. Und das hat zweifelsfrei sein Leben geprägt. Nicht nur der Verzicht, den es damals in der ehemaligen DDR hinzunehmen galt (erinnere ich mich doch selbst gut daran, mit meinen häufigen DDR Aufenthalten), sondern auch sein Elternhaus, das „linientreu und rot bis ins Mark war“. Der Vater diente als Offizier bei der Staatssicherheit und bildete deren Agenten aus, die Mutter unterrichtete unter anderem Staatsbürgerkunde und vermittelte den Schülern die gewünschte Propaganda über die Vorzüge des Kommunismus und die Nachteile des Kapitalismus. Aber das war nur die gesellschaftliche Oberfläche. Tief drinnen, im Alltag der Familie herrschte die Gewalt des Vaters, der auch für nichtigste Erziehungsinhalte „drohte und prügelte … (um) den Willen seines siebenjährigen Sohns zu brechen wie den eines feindlichen Agenten.“ (S. 44*). Ein hervorragender Nährboden für alles, was dann folgte.
Die Wende: Die Mauer fiel. In dem dann folgenden Durcheinander an kulturellen Anpassungs- und Veränderungsprozessen gehörte Bredack zu denjenigen Ossis, die nicht jammerten, sondern anpackten und ihres Glückes Schmied sein wollten. Auf verschlungenen Pfaden landete er inklusive illustrer Vor-Wende-Banden-Erfahrungen bei Mercedes: erst als LKW-Mechaniker, dann nach vielen Notfall-Einsätzen um liegengebliebene LKWs wieder fahrtüchtig zu machen, mit einem Zwischenstopp als Ausbildungsleiter wenig später als Ferndiagnostiker am Telefon, um weltweit „Fehler in Getrieben, Motoren, Achsen und Bremsanlagen aufzuspüren.“ (S. 123). Und so ging es die Karriereleiter weiter hinauf bis zum Mitglied der Geschäftsleitung für den Vertrieb Service in Deutschland im Bereich Nutzfahrzeuge. Wie es in Konzernen zumeist nicht anders sein kann, musste Bredack immer wieder Leute entlassen, gemäß den immer gleichen Personalabbauprogrammen der Major-Consulting Firmen: „Nun war ich das Arschloch, das Leute rausschmeißt. Immer wieder kam es zu schlimmen Szenen, in denen auch ich schrie, Türen knallte und Kollegen mobbte.“ (S. 147). Erfreulich, dass diese Programme wohl erfolgreich sind, also wurde das Mercedes-Benz Personalabbauprogramm von Siemens und BMW übernommen. Schöne uniformierte Konzernwelt.
Guter Kurzbeitrag über Bredack und Veganz
Dann irgendwann kam der Burn-out. Bredack starrte Löcher in die Luft und stundenlang Fliegen an. Flüchtete sich wie so viele „Leistungsträger“ in den Hochleistungssport, stand morgens um fünf auf, rannte 15 Kilometer und raste dann mit dem Fahrrad ins Büro und abends wieder zurück, trainierte Triathlon. Aber ab da gehörte er nicht mehr zu Elite, wurde selbst abgeschossen, bekam einen Abschiebeauftrag nach Russland. Auf dem Weg zur Spitze ist natürlich auch seine Ehe vor die Hunde gegangen und so lernte er irgendwann seine neue Frau kennen. Und die initiierte seinen Wandel. Denn sie war (und ist wohl noch) überzeugte Veganerin. Das erste Mal in seinem Leben verstand er, dass das Fleisch auf seinem Teller mal ein lebendiges Wesen war, das für seinen geschmacklichen Genuss erst jämmerlich aufgepäppelt und dann vielleicht noch mieser geschlachtet wurde. Bredack wurde Veganer. Und das im Überschalltempo; begann zu recherchieren und kam auf die Idee, eine vegane Supermarktkette aufzubauen. Gesagt getan. Alles natürlich anfänglich noch nebenbei, neben seinem Managerjob, in der russischen Pampa aus dem Nichts ein LKW Werk aus dem Schlamm zu stampfen was er erfolgreich zu Ende brachte.
Mit der Zeit kam die Konsequenz. Bredack verließ Daimler und stürzte sich mit vollem Einsatz in sein neues Geschäft: Veganz. Die vegane Supermarktkette, die von Anfang an boomte und schnell ihre Kunden fand. Denn dort sind nicht nur Kampfveganer willkommen, sondern alle Menschen, auch die, die nicht der reinen Lehre folgen. Bredack will die Mechanismen des Kapitalismus nutzen, um die Gesellschaft zu ändern, und wohl auch die Wirtschaft. Denn: „Im Grunde zerfleischen wir uns so selbst. Wir sind nicht nur Karnivore, wir werden langsam zu Kannibalen, zu geistigen Kannibalen. (S. 167) … Unsere Arbeitswelt macht uns krank. (S. 166) … Warum reden wir nicht auch über Massenmenschenhaltung? (S. 35)“ Genau. Bredack versteht genauso wenig wie ich, warum im veganen und vegetarischen und überhaupt im nachhaltigen Umfeld so selten über die Arbeitsbedingungen auch bei uns vor Ort gesprochen wird. Meistens geht es um ökologische Nachhaltigkeit, nicht aber um soziale. Bredack tritt mit Veganz an, auch dies zu ändern – mehr dazu in meinem Interview unten!
Mein Interview vom 21.05.2014 mit Jan Bredack zur Unternehmensführung bei veganz – spannend!
All das was ich hier so artig mehr oder minder chronologisch durchexerziere, ist im Buch dramaturgisch geschickt verschachtelt. Es kommt einem gut konstruierten Thriller gleich, ein Kapitel über vegane Einsichten, ein Kapitel Bredack Geschichte, immer schön im Wechsel, oft so, dass ich als Leser weitergetrieben wurde, das Buch kaum zur Seite legen konnte. Und weil Bredack mit seinem Managerjob noch nicht genug hatte, baute er nebenbei noch erfolgreich Geschäfte auf, einen Online-Postkartenservice, das deutschlandweit erste Online-Ticket System für Musicals und später ein Online Portal für Autoreperaturarbeiten, das er leider nicht realisieren konnte. Glücklicherweise hat er heute seinen Sinn, seine Vision in Veganz gefunden, schlappt schon mal Barfuß durch Berlin und konzentriert sich auf die Arbeit unter dem Motto der eigenen Firma: „Wir lieben Leben.“
Fazit: Ein Buch für alle, die Zweifel daran haben, dass unsere Wirtschaft und Gesellschaft auf dem richtigen Weg ist; für alle, die mit ihren eigenen Beiträgen zu einem Wandel inspiriert werden wollen.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Bredack, J. (2014): Vegan für Alle. Warum wir richtig leben sollten. Piper. Laminierter Pappband, 256 Seiten. € 19,99
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[…] Besonders problematisch wird es mit dem kritischen Konsumentenverhalten, wenn tatsächlich das eigene, tägliche Verhalten, wenn lieb gewonnene Gewohnheiten geändert werden müssen. Ein solcher Bereich ist unsere Ernährung. Wir alle wissen um die Probleme, die Fleischkonsum mit sich bringt, vor allem, wenn die leckeren Steaks, Würste und Buletten auch schön billig sein sollen. Niemand, der halbwegs bei Verstand ist, wird es als appetitanregend erleben, wenn er einen Blick in eines der Massentierhaltungsschlachhäuser werfen würde. Nein, das wird schön ignoriert, damit weiter gegrillt werden kann. (Mehr speziell dazu → “Tiere essen” und “Vegan für alle“) […]
[…] Durch die “Totalisierung der Erwerbswirtschaft” (Norbert Blüm), zum Beispiel in Form der rigorosen Forderung nach billigen und maximal flexibel einsetzbaren Arbeitskräften, zersetzen Multis das soziale Gefüge (ein ausführliches Beispiel lieferte Jan Bredack mit seiner Geschichte bei Mercedes →”Vegan für alle“). […]
[…] Die Rezension von “Vegan für alle” wie gewohnt in Zeuchs Buchtipps! […]
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