… Und Mittags geh ich heim.

Liebe Leserinnen und Leser!

Wieder einer und eines mehr! Ein Unternehmer und sein Unternehmen, in dem sinnvoll und menschlich gewirtschaftet wird. Einmal mehr gilt mein Dank changeX, dem Online-Magazin um in die Zukunft zu denken. Denn dort wurde Detlef Lohmann und sein Unternehmen allsafe JUNGFALK GmbH & Co. KG in dem Artikel „Expertise statt Hierarchie“ vorgestellt. So bin ich auf Lohmanns Buch gestoßen. Lohmann und sein Unternehmen zeigen, dass es mit zur Zeit 129 MitarbeiterInnen bei der Herstellung von Ladegutsicherungen und Transportsystemen möglich ist, anders vorzugehen, als gemeinhin angenommen. Die Grundlage dazu sieht Lohmann selbst im Menschenbild.

Lohmann 2013 - und mittags

Detlef Lohmann arbeitete 15 Jahre in der Automobil-Zulieferer Branche, bevor er allsafe Jungfalk übernahm. Nach einer mehrjährigen Reise durch diverse Umstrukturierungen unter seiner Führung wurde das Unternehmen zu dem, was es heute ist. Mittlerweile beginnt Lohmann seinen Arbeitstag damit, die Post auszuteilen, was auch gleichzeitig der Anfang seines Buches ist. Ein schöner Einstieg, der gleich die dienende Rolle des (Top-)Managements klarstellt – und die Vorteile, die man und frau daraus erwachsen: Seine MitarbeiterInnen können ihn konsultieren und er erfährt schnell und nebenbei, „wo der Schuh drückt“ und bleibt auf dem neuesten Stand. Eine sympathische, originelle Vorgehensweise ohne jegliche Berührungsängste und Hochmut. Natürlich stellt sich über die beschriebenen Funktionen hinaus sofort die Frage, wie und warum der Geschäftsführer zum Postboten geworden ist. Und da sind wir bei den üblichen Argumenten, die nichts an Wahrhaftigkeit und Bedeutung verloren haben:

Erstens hat sich die Wirtschaftswelt massiv geändert, sie ist komplexer und dynamischer zugleich als je zuvor. Das Umfeld der Unternehmen ändert sich somit schneller als bisher und notwendige Anpassungen schreien nach Flexibilität und ständigem Wandel. Dieser Forderung werden Unternehmen besser gerecht, wenn sie sich selbst organisieren und Führungskräfte wie MitarbeiterInnen selber auch weitreichende Entscheidungen treffen können. Der erwünschte Nebeneffekt ist eine höhere intrinsische Motivation, denn Menschen wollen mitgestalten und Verantwortung übernehmen. Womit wir beim Menschenbild sind. Lohmann vertraut seiner Mannschaft und geht mit gutem Beispiel voran, ganz im Gegenteil zum Top-Management gewohnt formal-hierarchischer Unternehmen, die sich offensichtlich in Misstrauen wälzen, um dann ein Argument in der Hand zu haben, warum man die Belegschaft anweisen und kontrollieren muss. Desweiteren stellt Lohmann klar, dass klassische Unternehmensstrukturen und -kulturen einen weiteren erheblichen Nachteil haben: Sie sind von der Fähigkeit einer oder weniger Personen an der Spitze abhängig – was so mancher Unternehmensfall im doppelten Sinne eindrücklich illustriert.

Alles was Lohmann anders macht, als die meisten Unternehmen, erinnert deutlich an das Vorgehen, das Ricardo Semler (→“Das Semco System„) schon Jahre zuvor mit Semco erarbeitet und umgesetzt hat, nicht ganz so radikal aber doch in weiten Strecken konsequent. Anstelle klassischer Entscheidungsstrukturen tritt eine weitreichende Selbstoganisation, Unternehmensdaten stehen transparent allen zur Verfügung, Stellenbeschreibungen und Titel existieren nur zu zwecken leichterer Außenkommunikation und können durch die Mitarbeiter frei angepasst werden. Jeder kann sich den Titel auf seiner oder ihrer Visitenkarte selbst aussuchen, so wie es eben die Kommunikation mit Kunden und Partnern erfolgreicher macht. Lohmann selbst verfügt über verschiedene Visitenkarten mit Titeln wie Geschäftsführer, CEO oder Inhaber. Genauso wie Semler sieht Lohmann eine wichtige Herausforderung für sich selbst darin, Entscheidungen immer zurück zu delegieren und sich möglichst aus dem operativen Geschäft rauszuhalten. Selbst dann, wenn er anders entscheiden würde. Und da Entscheidungen früher oder später zu Fehlern führen, bedarf es folgerichtig einer positiven Fehlerkultur, denn nur wer Fehler macht, lernt und wächst. Letztlich hat der Geschäftsführer mehr Zeit zur Verfügung, denn er hat weniger zu entscheiden. Also geht Lohmann Mittags heim und widmet sich dem, was seine verbleibenden und wichtigen Aufgaben sind. Auch darin ähnelt er Semler, der längst keine 70 oder 100 Wochenstunden mehr im Unternehmen schuftet.

Damit sind wir bei einer wichtigen Frage: Wofür braucht es eigentlich noch einen Chef, wenn doch alle selber erfolgreich entscheiden dürfen und können? Die Antwort: Risikomanagement und Zukunftsausrichtung. Da allerdings wird es doch ein wenig fragwürdig. Warum sollte sich niemand „Gedanken über die grundsätzliche strategische Ausrichtung“ machen? Weil es eben doch noch die Königsdisziplin des Managements ist? Die Antwort bleibt Lohmann schuldig. Es klingt auf die Schnelle betrachtet irgendwie schlüssig, lässt aber doch ein wenig Erstaunen zurück. Wenn ich die Belegschaft für grundsätzlich intelligent und kompetent halte, sollte ich auch davon ausgehen, dass diese wichtigen Themen früher oder später auf der Agenda auftauchen. Und vor allem: Gerade die Zukunftsausrichtung ist eine der wichtigsten und komplexesten Aufgaben. Wieso sollte die ein Mensch alleine abarbeiten? Vor allem zumal Lohmann selbst den Wert verschiedener Perspektiven herausarbeitet.

Ein weiteres kritisches Moment taucht auf, als Lohmann beschreibt, wie er begeistert in einem Buch liest, das ihn nicht mehr loslässt. Als Leser erfahre ich gerade noch, dass Nils Pfläging der Autor ist, aber um welches Buch es sich handelt, verrät Lohmann nicht. Warum? Ist er doch selbst offensichtlich sehr angetan und erlebt es als hilfreich. Um welches Buch es sich handelt, wird all diejenigen, die dieses unbenannte Buch kennen, spätestens ab Seite 147 klar, wenn Lohmann plötzlich aus dem Nichts heraus über „Beta-Unternehmen“ schreibt, die eben anders sind als „Alpha-Unternehmen“. Diese Begriffe stammen so ziemlich eindeutig von Nils, die er breitflächig in seinem Buch „Die 12 neuen Gesetze der Führung“ verwendet und das Lohmann offensichtlich gelesen hatte (es ist die Fortführung von →“Führen mit flexiblen Zielen„). Das schafft Raum für unrühmliche Spekulationen, warum Lohmann nur bruchstückhaft klarstellt, durch Nils inspiriert worden zu sein. Vor allem aufgrund seiner Forderung nach Transparenz im eigenen Unternehmen – in dem er ja auch eine Bibliothek eingerichtet hat, damit sich die MitarbeiterInnen gleich vor Ort in der Firma lesend inspirieren können, was wiederum eine tolle Sache ist. Nun denn, ein unternehmerischer Schönheitsfleck, garantiert selbst verantwortet, denn darauf würde Lohmann hoffentlich bestehen.

Fazit: Ein weiteres inspirierendes Fallbeispiel über alternative Unternehmensführung für alle, die nach menschlicher und sinnvoller Wirtschaft streben. Fast so schnell gelesen wie gekauft.

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

 

Lohmann, D. (2012): … und mittags geh ich heim. Die völlig andere Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen. Linde International. Gebunden, 224 Seiten. € 19,90

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert