Lügen mit Zahlen
Liebe Leserinnen und Leser!
In unserer Betriebs- und Volkswirtschaft wimmelt es nur so von Zahlen. Sie sind der Beweis, dass wir es mit wissenschaftlich fundierten Methoden zu tun haben, alles streng logisch und durch und durch rational, bar jeden Zweifels. Wer souverän mit Zahlen, Daten und Fakten argumentiert, komplexe Statistiken zu Rate zieht oder präsentiert, zählt zu den Top-Performern. Also habe ich mir umgehend „Lügen mit Zahlen“ bestellt und es gelesen. Ja, klar, wir alle kennen den Spruch: Trau keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast. Und doch gibt es auch für kritische Zeitgeister immer noch Manipulationsfallen, in die man schnell getappt ist.
Um eines vorweg zu klären: Das Buch ist wirklich durch und durch unterhaltsam. Bosbach und Korff ist das Kunststück gelungen, erstens als Menschen hinter Ihrer Statistikkritik deutlich spürbar zu werden und zweitens das ganze amüsant bis durch und durch witzig zu präsentieren. Professor Dr. Gerd Bosbach lehrt Statistik, Mathematik und Empirie an der Fachhochschule Koblenz. Zuvor war er mehrere Jahre im Statistischen Bundesamt tätig. Jens Jürgen Korff hat als Historiker und Politologe weitere Beispiele eingebracht und hie und da den Text des Statistikers mit Fragen aufgelockert.
Alleine der Einstieg lässt einen schnell erahnen, was noch alles kommen wird. Die LeserInnen werden zu einer Schätzung aufgefordert, was weltweit der Ort mit der schlechtesten Kriminalstatistik sein mag. Was meint Ihr? Spontan ein paar Ideen ? Keine Sorge, bleibt ja unter Euch, der Tipp muss nicht einmal laut ausgesprochen werden. Dran denken reicht. Habt Ihr schon einen Favoriten? Wenn nein: Wie wäre es mit Rio de Janeiro? Oder Bagdad? Nein? Wer so up to date ist wie ich, hätte auf Ciudad de Juárez getippt, schließlich sind die mexikanischen Drogenkartelle extrem brutal und effizient. Aber nein, das stimmt leider auch nicht. Noch ein letzter kurzer Tipp? So – und jetzt die Auflösung: Die Vatikanstadt! Wie in Gottes Namen (jawohl!), kann das denn sein? So: Die Messung erfolgt durch das Verhältnis der eingeleiteten Strafverfahren geteilt durch die Einwohnerzahl. Runde 18 Millionen Besucher der Vatikanstadt führen natürlich zu einer stattlichen Menge an Delikten, die dann auf die gerade mal rund 500 Einwohner umgelegt werden. Tja, so kann man die Welt auch sehen, die Statistik ist zwar Einwand- dafür aber umso zweckfreier.
Nach dem ersten Kapitel, indem noch eher allgemeiner Erörterungen ihren Platz haben (die dennoch lohnenswert sind), geht es dann ab dem zweiten Kapitel ins Eingemachte der Möglichkeiten statistischer Manipulationen: „Ein Bild lügt schneller als Tausend Zahlen“. Die treffenden Abbildungen illustrieren das schnell und nachhaltig. Da schaue ich auf ein erstes Balkendiagramm und denke: Ach je, so schlecht steht es um unsere Gesundheitsausgaben pro Kopf! Eine wirklich erschreckende Entwicklung. Stelle dann aber doch noch vor der Auflösung durch Bosbach fest: Blödsinn. Die y-Achse wurde unvollständig abgebildet, so dass die Entwicklung einen viel dramatischeren Verlauf suggeriert, als wenn man die y-Achse korrekt bei 0 beginnen würde. Dasselbe Spiel ist natürlich bei der x-Achse möglich, indem nur der für die Aussage geeignete Abschnitt gewählt wird. Ok, denken jetzt einige von Euch, das kenn ich schon. Sehr gut. Also weiter für die Fortgeschrittenen: Man kann die x-Achse auch so manipulieren, dass unterschiedlich große Bereiche (z.B. Jahresschritte) als gleich große Abschnitte dargestellt werden. Oder wie im Fokus geschehen: Man stellt Verbindungen zwischen nichtvergleichbare Einheiten her, wie der Anzahl von Firmen, Quadratmetern und einzelner Personen. Das nebeneinander arrangiert führt dann zu einem Aufwärtstrend bei deutschen Messeständen.
Allmählich wird es dann trickreicher. Im dritten Kapitel, der „Suche nach dem Warum“, werden weitere Mechanismen enthüllt: Hintergrundvariablen, Äquivalenzen, Zufälle oder das bewusste Fischen nach Korrelationen. Eine der mächtigsten Hintergrundvariablen ist beispielsweise die Zeit: Vieles verändert sich in ihrem Lauf, vieles lässt sich statistisch als steigende oder sinkende Zahlenreihe darstellen. Wenn also die Gesundheitsausgaben pro Kopf steigen, dann ist das absolut überhaupt nicht überraschend, denn alles in allem verdienen wir durchschnittlich mehr, was natürlich auch zu steigenden Krankenkassenbeiträgen führt. Außerdem gibt’s dann noch die Inflation und schon sind Gesundheitsausgaben pro Kopf heute teurer als noch vor zehn Jahren. Ist das dem einen oder der anderen von Euch immer noch zu banal? Ok, Bosbach kann problemlos weiter Gas geben:
Da wären zum Beispiel zwei echte Wunder der Statistik – ich hab’s mal nachgerechnet und konnte auch nur verwundert mit dem Kopf schütteln. Das möchte ich Euch nicht vorenthalten, zumindest das erste nicht (das zweite folgt sogleich, sofern Ihr Euch das Buch kauft, ein bisschen anreizen muss sein … ). Folgendes Szenario: Ein neuer Vertriebsleiter der Gebiete Nord und Süd weist schon nach drei Monaten seiner Tätigkeit im Bericht darauf hin, dass er im Bereich Nord 16,7% mehr und im Bereich Süd immerhin noch 6,7% mehr Bücher „Wie trickse ich erfolgreich den CEO aus?“ verkaufen konnte. Der CEO ist glücklich und stellt diesen sensationellen Mann noch vor Ablauf der Probezeit fest ein. Dann kommt der Jahresabschluss, der Chef-Ausführungs-Offiziert grinst in freudiger Erwartung, liest – und fällt vom Glauben ab: Es wurde im besagten Zeitraum kein einziges Exemplar mehr verkauft. Kündigung! Fristlos!! Von wegen – der schlaue Vertriebsleiter legt die Statistik vor und beweist mathematisch korrekt die Steigerungsraten. Wie kann das sein? Die Auflösung findet Ihr auf Seite 146 – 148.
Gegen Ende beleuchten die Autoren die Absichten der Statistikschöpfer. „Die Dummen und die Bösen“ heißt es naheliegender Weise. Alleine dieses Kapitel ist ein Genuss, zumal es auch einige wirklich unangenehme Eigennutzenmaximierungschampions entlarvt. Wie beispielsweise Bert Rürup, der „2009 nach seinem politischen Einsatz für die private Altersvorsorge Chefökonom des umstrittenen Hannoveraner Finanzdienstleisters AWD (wurde).“ (S. 247) Oder Professor Raffelhüschen, der als Aufsichtsratsmitglied der ERGO-Versicherungsgruppe und „einer der eifrigsten Vortragsreisenden der … Heidelberger MLP AG“ (a.a.O.) unterwegs ist. Und natürlich als Professor wie Rürüp als Politiker dafür sorgte, dass möglichst viele Menschen private Altersvorsorge investieren.
Nicht in jedem Kapitel aber immer wieder finden sich Übungen, um die Abgründe der vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten besser zu durchdringen. Was dann besonders spaßig wird, wenn man zum Beispiel als Vorstandsvorsitzender seine eigene Statistik zusammenbasteln soll, um sich selbst möglichst heroisch zu inszenieren; oder als Bundesvorstand einer Ärzteorganisation mal dem Bundesgesundheitsministerium klarmachen, dass die Ärzte „bereits bitter geblutet haben“. Um eine Woche später bei der Bundesdelegiertenversammlung des Verbandes auf der Basis derselben Daten zu demonstrieren, dass die Einkommen ordentlich gestiegen sind. Ganz am Rande lehren Bosbach und Korff die LeserInnen, das kleine nebensächliche Fehler von den großen Tricksereien erfolgreich ablenken und Teil eines regelrechten Gesamtkunstwerks sein können. Diese statistischen Fingerübungen finden ihren Höhepunkt im letzten Kapitel. Dort findet sich eine Sammlung von Übungen, um zukünftig nicht mehr auf jeden statistischen Treppenwitz reinzufallen. Sollte das nicht reichen, gibt’s noch eine Checkliste zu Prüfung von Statistiken.
Fazit: Ein Muss für alle, die beruflich viel mit Statistiken zu tun haben ohne ausgebildete Statistiker zu sein. Und ein heißer Tipp für alle anderen. Denn Statistiken sind allgegenwärtig.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Bosbach, G., Korff, J.J. (2012): Lügen mit Zahlen. Wie wir mit Statistiken manipuliert werden. Heyne. Taschenbuch, 320 Seiten. € 8,90
Na endlich mal ein Buch von G. Bosbach – und dazu noch ein lesenswertes mit mathematischem Hintergrund. Das und dazu Deine Rezension sind für mich natürlich Gründe es zu lesen.
Da bleibt mir dann nur demnächst doch auch einmal ein Buch zu schreiben und auf eine ebenso gutes Feedback von Dir zu hoffen 🙂
Hey Guido,
stimmt, musste auch schon an Dich denken 🙂 Richtig, fang mal an zu schreiben, gute Idee. Lese ich dann auch gerne!
Das klingt sehr spannend, vielen Dank für den Hinweis. Und deine Besprechung hat mich an ein älteres Buch erinnert, das ich in deiner Liste nicht gefunden habe: Beck-Bornholdt / Dubben, „Der Hund, der Eier legt“ über das Aufdecken von Fehlinformationen. Dürfte in eine ähnliche Richtung gehen, und ich fand es damals recht lesenswert.
Hi Christian,
freut mich, dass die Rezi für Dich nützlich war. Den eierlegenden Hund schaue ich mir mal an, klingt zumindest für mich persönlich sehr spannende. Wenn ich den Eindruck habe, dass das Buch hier ins Blog passt, werde ich das natürlich empfehlen.
HGA