Der schwarze Schwan. Konsequenzen aus der Krise.

Liebe Leserinnen und Leser!

Viele, vermutlich die meisten von Euch, kennen das fulminante Werk „Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ von Nassim Nicholas Taleb aus dem Jahr 2008 (deutsche Fassung). Zwei Jahre später legt der Prognose-Provokateur nach. Mit seinem gleichnamigen Büchlein widmet er sich den „Konsequenzen aus der Krise“. Im Gegensatz zum ersten Band, der alleine schon vom Umfang her wesentlich fordernder war, ist dieses Buch gut in überschaubarer Zeit zu bewältigen. Taleb bietet damit praktikable Lehren und Anwendungen seiner Erkenntnisse aus dem ersten Band. Und die leisten einen Beitrag zu einer menschlicheren und robusteren Wirtschaft.

Unsere Wirtschaft basiert nach wie vor auf zwei wichtigen Prämissen: Vorhersagbarkeit und Kontrolle. Auch wenn so ziemlich jeder, der nicht unter psychotischem Realitätsverlust leidet, sofort eingestehen würde, dass wir dummerweise immer noch nicht in die Zukunft blicken können, so handeln doch die meisten Unternehmen genau so: Sie versuchen die Zukunft regelmäßig in Forecasts vorherzusagen und machen diesen Unfug dann auch noch zur Grundlage regelmäßiger Budgetpläne, die dann ebenso regelmäßig an die sich wandelnde Wirklichkeit angepasst werden müssen (dazu hat Conny Dethloff einen schönen Artikel auf der Homepage der Initiative Wirtschaftsdemokratie geschrieben). Abweichungen von diesen Vorhersagen sind natürlich unwillkommen und stören die heiligen Kreise aller Beteiligten, insbesondere die der Controller.

Und so zerpflückt Taleb freudvoll süffisant alle trivialen Versuche, der Zukunft und der Ungewissheit Herr zu werden. Aber keineswegs zerstörerisch, sondern vielmehr schöpferisch. Im ersten Kapitel „Weshalb die Natur das beste Vorbild ist“ widmet er sich dem Thema „Robustheit und Fragilität“. Ein wichtiger Aspekt besteht in „Redundanz als Versicherung“: In der Wirtschaft versuchen wir auf Teufel komm raus Redundanzen aus Gründen „naiver Optimierung“ (S. 9) zu vermeiden, schließlich soll die Effizienz gesteigert werden. „Ein Wirtschaftswissenschaftler würde das Vorhandensein von zwei Augen und zwei Nieren als ineffizient empfinden (und Manager sicher ebenso, AZ).“ (S. 9) In der Natur aber finden wir dauernd Redundanzen (und zwar echte, nicht wie bei den von Taleb erwähnten zwei Augen, die ja erst gemeinsam das dreidimensionale Sehen ermöglichen). Und diese Redundanzen machen uns robust gegenüber Störungen aus der noch unbekannten Zukunft, weil wir auch unerwünschte Ereignisse und Zufälle eher ausgleichen oder sogar nutzen können, als ohne diese Redundanzen.
Allerdings braucht es dazu auch eine innere Haltung, dass Abweichungen vom Plan zu genauso guten oder sogar besseren Ergebnissen führen können, als wenn alles so eintritt, wie vorausgesagt (und damit erhofft). Darauf bin ich auch ausführlich in meinem Buch „Feel it!“ eingegangen.

Nicht anders verhält es sich mit dem Thema Schulden. Auch die machen uns für Störungen anfällig und zerbrechlich. So wie das auch Thomas Sedláček in seiner → „Ökonomie von Gut und Böse“ noch ausführlicher zeigte, macht Taleb klar, dass alte Kulturen zu Recht ein Dogma gegen Schulden entwickelten. Denn „Schulden beinhalten eine starke Aussage über die Zukunft und einen hohen Grad des Vertrauens zu Vorhersagen.“ (S. 11) Und so gilt die einfache, aber in unserer Wirtschaft meistens missachtete Weisheit, dass wir durch die Aufnahme von Schulden stärker durch Vorhersagefehler verwundbar werden. Interessant ist dabei auch, dass weit überdurchschnittlich langlebige Unternehmen eine besonders konservative Finanzierungspolitik aufweisen und eben sehr wenig Schulden machen (darüber wiederum berichtet Ariel de Geus in seinem Werk →“Jenseits der Ökonomie„.)

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Größe: Taleb illustriert die Problematik von Größe in der Wirtschaft – genauer bei Unternehmen – sehr einfach: Wenn er einen Elefanten erschießen würde, kümmert das die Natur nicht allzuviel. Würde er jedoch eine „systemrelevante“ Bank vernichten, hätten wir alle ein großes Problem. Bricht eine kleine Bank oder ein kleines Unternehmen zusammen, stört das die Wirtschaft nicht. Somit führt Größe vor allem zur Steigerung der Vorstandsgehälter und zu einer besseren Bewertung auf dem Aktienmarkt. Für die Gemeinschaft aber, für die Wirtschaft, bedeuten immer größere Unternehmen immer größere Risiken.
Diese Systemrelevanz untergräbt übrigens nicht nur die Stabilität, sondern auch die freie Marktwirtschaft und den freien Wettbewerb, der ja gerade von den neoliberalen Ökonomen betont wird: Denn eine kleine Bank darf insolvent gehen, eine große wird durch die Gemeinschaft gerettet (mehr dazu in Christina Felbers →“Gemeinwohlökonomie„).
Im vorletzten Kapitel präsentiert Taleb 10 Prinzipien von Gesellschaften gegenüber Schwarzen Schwänen:
  1. „Was fragil ist, sollte früh zerbrechen, solange es noch klein ist.
  2. Wenn die Verluste sozialisiert werden, dürfen die Gewinne nicht privatisiert werden.
  3. Leuten, die mit verbundenen Augen am Steuer eines Schulbusses gesessen (und ihn zu Schrott gefahren) haben, darf man nie wieder einen Bus geben.
  4. Jemandem, der eine „Leistungs“-Prämie bekommt, dürfen wir nie die die Leitung eines Atomkraftwerks übertragen – und auch nicht das Management unserer finanziellen Risiken.
  5. Wir müssen Komplexität durch Einfachheit ausgleichen.
  6. Sprengstoff gehört nicht in die Hände von Kindern, selbst wenn er mit einem Warnhinweis versehen ist.
  7. Vom Zufall dürfen nur Ponzi-Schemata abhängen. Es sollte nie nötig sein, dass der Staat „Das Vertrauen wiederherstellen“ muss.
  8. Einem Süchtigen, der unter Entzugserscheinungen leidet, darf man keine weiteren Drogen geben.
  9. Die Bürger dürfen nicht von Finanzprodukten als Verwahrungsorten für Werte abhängig sein und dürfen sich bei ihrer Altersicherung nicht auf die fehlbaren Ratschläge von „Experten“ verlassen.
  10. Wir sollten uns aus den zerbrochenen Eiern ein Omelett machen.“ (S. 109-113)
Natürlich ist einiges davon kryptisch und nicht direkt verständlich – aber ich hoffe, es weckt gerade deshalb Euer Interesse…
Abschließend gefällt mir die Radikalität, mit der Taleb eine einfache Wahrheit ausspricht: „Außerdem verstehen viele Leser (sagen wir, diejenigen, die im Bereich der Vorhersagen oder im Bankwesen arbeiten) leider oft nicht, dass der Schritt, der als Handlungsgrundlage dienen kann, für sie schlicht darin besteht, ihren Beruf aufzugeben und sich einer ethischeren Tätigkeit zuzuwenden.“ (S. 45). Das stimmt insbesondere auch deshalb, weil viele genau dieser Berufstätigen (Investmentbanker, Steuerberater etc.) für jeden Euro, den sie verdienen, ein Vielfaches davon die Gemeinschaft kosten. Das hat die Studie „A bit rich“ der New Economics Foundation klar gezeigt.

Fazit: Dieses Büchlein empfehle ich allen Unternehmern, Geschäftsführern, CEOs, CFOs und Politikern, die einen erfolgreicheren Umgang mit der Zukunft anstreben. Alle, die sich gerne weiterhin ihrem Realitätsverlust hingeben, Zukunft und Risiken seien messbar und kalkulierbar, sollten es auch lesen – aber nur, wenn sie bereit sind, lieb gewonnene Annahmen zu verabschieden. Ansonsten gilt: Hände weg!

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Taleb, N. (2010): Der Schwarze Schwan. Konsequenzen aus der Krise. Hanser. Gebunden, 122 Seiten. 14,90€

2 Kommentare
  1. Conny Dethloff
    Conny Dethloff sagte:

    Hallo Andreas,

    ein sehr gutes Buch und eine ebenso gute Rezension deinerseits.

    Ich habe auch beide Bücher gelesen, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, was dem Erkenntnisgewinn keinen Abbruch getan hat. Ich habe natürlich nicht den Vergleich zur „richtigen“ Reihenfolge.

    Vor allem die fünfte der 10 Taleb Prinzipien hat es mir angetan: “Wir müssen Komplexität durch Einfachheit ausgleichen.”

    Auf der einen Seite darf im Unternehmen die eigene Komplexität nicht zu stark gegenüber der der Umwelt (Kunde, Lieferanten, Wettbewerber, Staat etc.) minimiert werden, da man sonst die Überlebensfähigkeit des Unternehmens gefährdet. Das bedeutet Erhöhung der Eigenkomplexität. Auf der anderen Seite soll Komplexität durch Einfachheit ausgeglichen werden.

    1. Was denn nun, Komplexität minimieren oder Komplexität erhöhen?
    2. Bedeutet Komplexität mit Einfachheit begegnen überhaupt, dass Komplexität minimiert werden soll?

    Diese Thematik macht Sinn weiter betrachtet zu werden.

    Beste Grüße,
    Conny

    Antworten
    • Andreas Zeuch
      Andreas Zeuch sagte:

      Hi Conny,

      danke für den Hinweis – eine wichtige Frage. Spontan fällt mir ein: Wie wäre es mit einem sowohl-als-auch anstelle eines entweder-oder? Und was könnte das heißen? Unter welchem Blickwinkel kann Komplexität erhöht werden und gleichzeitig etwas einfacher gemacht werden? Ich habe keine Antwort, finde aber die Fragestellung intuitiv wichtig.

      Lass uns dran bleiben.

      Herzliche Grüße
      Andreas

      Antworten

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