Der Ökonom als Menschenfeind
Liebe Leserinnen und Leser!
Eine Studie über die Wirkung der betriebswirtschaftlichen Ausbildung zeigte 2010, dass StudentInnen der Betriebswirtschaft am Ende ihres Studiums im Vergleich zum Beginn überzufällig mehr Eigennutzen maximierend handeln, als Teilnehmer anderer Studiengänge. Wenn sonst auch immer wieder der Nutzen unserer Wirtschafts-Studiengänge von Unternehmen in Frage gestellt wird, so ist doch zumindest dies klar: Das im Studium vermittelte Menschenbild wirkt. Wenn wir nur lange genug die Annahmen der Eigennutzenmaximierung und rationalen Entscheidungsfindung ins Hirn junger StudentInnen hämmern, fangen die irgendwann an daran zu glauben und verhalten sich selbst dementsprechend. Die ökonomische Theorie zeigt also Wirkung. Vor allem aber, wenn sie die Gesellschaft insgesamt durchdringt und letztlich sogar zur Grundlage politischer Entscheidungen wird. Sebastian Thieme schwimmt glücklicherweise gegen den Strom und untersucht in seinem Buch die misanthropischen Grundmuster der Ökonomik. Schnell wird klar: Die Menschenfeindlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften. Kein Wunder also, dass unsere Wirtschaft weit weg davon ist, dem Menschen zu dienen.
Sebastian Thieme ist promovierter Volkswirt und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Ökonomische und soziologische Studien der Universität Hamburg. Er untersucht seine titelgebende Frage fast ausschließlich aus volkswirtschaftlicher Perspektive. Dabei verliert er nie den Kontakt zur aktuellen Lehre und ihrer Manifestation in Form vieler Lehrbücher, die er mit süffisanter Regelmäßigkeit als Belege für seine Untersuchungsergebnisse ausweist. Sein aufrüttelnder Bericht aus den Schmieden unserer menschenfeindlichen Wirtschaft ist kurz und knapp. Nach 92 Seiten ist das Trauerspiel, ist der unerhörte Akt des Misstrauens und der Verachtung endlich vorbei.
Es gibt nur vier Kapitel unterteilt in je kurze, schnell zu lesende Abschnitte: Ökonomisierung und Menschenfeindlichkeit, Persönliche Einstellung und Ökonomik, Misanthropische Grundmuster der Ökonomie und das misanthropische Tagesgeschäft. Die ersten beiden Kapitel sind dabei eigentlich nur Einleitungen zum dritten und vierten Kapitel. Trotzdem wird gleich zu Beginn das ganze Ausmaß der Problematik klar. 1697 trieb John Locke einen widerwärtigen Pfosten der Menschenverachtung in den Boden. Der bestand aber nicht etwa darin, „die sozial Schwachen selbst für ihre Situation verantwortlich zu machen.“ (S. 23) Das wäre ja harmlos. Da hat Locke schon mehr zu bieten: Zwangseinweisungen in Arbeitshäuser oder die königliche Flotte waren seiner Ansicht nach angemesene Mittel. Aber damit nicht genug. Auch körperliche Züchtigung und Verstümmelung wären eine gute Idee sowie die Einrichtung von Arbeitsschulen für Kinder von Bettlern, Arbeitslosen und Tagelöhnern. Natürlich war Locke keine Ausnahme, er war in guter Gesellschaft anderer wie Joseph Townsend oder Robert Malthus. Später hat dann Max Weber eine saftige sexistische Diskriminierung zu bieten: „Insbesondere ihr absoluter Mangel an Fähigkeit und Willigkeit … den Verstand zu konzentrieren oder überhaupt zu brauchen, ist eine allgemeine Klage von Arbeitgebern, die Mädchen beschäftigen.“ (Weber, Protestantische Ethik (sic!) 1920, S. 85). Schön, gell?
Im dritten Kapitel geht’s dann ans Eingemachte. Dort seziert Thieme den neoklassischen Arbeitsmarkt, die Prinzipal-Agenten-Theorie (Arbeitgeber – Arbeitnehmer, Käufer-Verkäufer), die Effizienzlohntheorie (Entlohne über dem Durchschnitt und erhöhe so die Abhängigkeit), legt die Idee von Markt und natürlicher Auslese unters Mikroskop (vulgo: Sozialdarwinismus) und demaskiert schließlich den Gegensatz von Marktgesellschaft und Sozialstaat: „Denn das Ideal der Marktgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass jeder Mensch absolut abhängig vom Erwerbseinkommen sein soll. … In einer Marktgesellschaft soll deshalb jede Person, die ihre Erwerbstätigkeit verliert, gezwungen sein, sich eine andere Erwerbtätigkeit zu suchen.“ (S. 46f) Im Laufe dieses Kapitels wird so das misanthropische Grundmuster klar:
- Ein negatives Menschenbild (faul, arbeitsscheu, dumm und kriminell)
- Die Idee des Wettbewerbs (es MUSS im (Arbeits-)Markt Gewinner und Verlierer geben)
- Abstraktheit und Verdinglichung (als Möglichkeit, sich von echten Menschen und deren Leben abzuspalten)
Was geht Euch durch den Kopf, wenn Ihr das bis hierher gelesen habt? Vielleicht die kritische Bemerkung, das Locke & Co. richtig unangenehme Zeitgenossen waren, aber eben doch vor langer Zeit und vor allem: Kinder ihrer Zeit. Heute ist Post-Postmoderne, wir haben Antidiskriminierungsgesetze, führen Frauenquoten im Top-Management ein, schlagen uns mit Gewerkschaften herum und so weiter und so fort. Thieme indes stellt fest: „Solche Argumente sind nicht von der Hand zu weisen, aber sie vermögen nicht die Verwunderung darüber zu beseitgen, dass ähnliche Argumentationsmuster trotz aller Aufklärung sowie kultureller, technischer und sozialer Umwälzungen auch heute noch verwendet werden.“ (S. 59) Also zielt er im vierten Kapitel auf die aktuelle Wirtschaftswissenschaft und landet einen Volltreffer nach dem anderen. Nur ein Beispiel: Die fünf Wirtschaftsweisen und Ihr Sachverständigenrat 2010. Auf der Höhe der Zeit gehen die Weisen davon aus, das die „Akteure“ auf den Märkten rationale Entscheidungen treffen und allesamt vollständig informiert sind (tatsächlich, kein Witz, ich bin fassungslos). Natürlich werden diese durch und durch wissenschaftlich fundierten Annahmen an keiner Stelle begründet oder belegt und vor allem: Warum sie einen Geltungsanspruch zur politischen Gestaltung des Arbeitsmarktes haben sollten. Dafür leisten sie mehr, als alle Unternehmenslobbyisten zusammen, wenn sie klarstellen, dass das Existenzminimum nur Personen zugestanden wird, die arbeitswillig sind. Mir war es eine Freude, dass Thieme da Thors Argumentationshammer auspackt: „Hier hätte mensch sich gewünscht, dass die „Wirtschaftsweisen“ etwas näher erläutern, wieso sich das soziokulturelle Existenzminimum aus der Arbeitswilligkeit ableiten soll und nicht z.B. aus der Menschenwürde (wie es das deutsche Grundgesetz nahelegt).“ (S. 65)
Fazit: Ein Buch für diejenigen unter Euch, die die Zusammenhänge zwischen Menschenbild und Wirtschaft besser verstehen wollen. Und den Mut haben, in ein hässliches Antlitz zu blicken.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Thieme, S.(2013): Der Ökonom als Menschenfeind. Über die misanthropischen Grundmuster der Ökonomik. Barbara Budrich. Softcover, 103 Seiten. 12,90 €
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