Der Crash ist die Lösung
Liebe Leserinnen und Leser!
Letztes Jahr nahmen Matthias Weik und Marc Friedrich mit mir Kontakt auf und baten mich um eine Rezension Ihres damaligen Überraschungsbestsellers →“Der größte Raubzug der Geschichte„. Rund ein Jahr später meldeten sie sich zurück mit Ihrem neuen Buch. Der Titel sprach mich wiederum sofort an. Ja klar, als jemand der ziemlich querdenkt leuchtete mir das unmittelbar ein. Zumal ich ohnehin Krisen immer als Chancen verstehe. Aber der Untertitel: Nun ja, der hat mich gar nicht so gereizt. Aber klar, das Buch wollte ich mir definitiv näher anschauen, also ließ ich es mir schicken. Und dann kam der Umfanghammer: 381 Seiten, voll mit Zahlen, Daten und Fakten, Charts und Abbildungen. Ach herrje. Ganz ehrlich, dass hat mich eine ganze Weile abgeschreckt, da ich die Bücher, die ich hier vorstelle eben wirklich durcharbeite und nicht einfach mal eben überfliege. Und das nebenbei, als ideelles Privatvergnügen, sozusagen. Da schau ich schon ziemlich genau hin, mit was ich meine Zeit fülle. Nachdem ich nun meine inneren Widerstände überwunden hatte, muss ich sagen: Sorry Jungs, Euer Buch ist mal wieder lesenswert, es hätte eine deutlich frühere Rezension verdient!
Matthias Weik und Marc Friedrich sind so etwas wie die Shootingstars kritischer Finanzmarktreflexion. Wo eine Schwalbe noch keinen Sommer macht und ein Bestseller reiner Zufall sein kann, da sind zwei Bestseller hintereinander wohl schon nicht mehr einfach so vom Tisch zu wischen. Das neue Buch der beiden durch und durch vernünftigen und menschlichen Ökonomen (was ja schon fast ein Oxymoron ist…) und unabhängigen Vermögensberater rangierte wiederum mehrere Wochen auf den Topplätzen der Spiegel Bestsellerliste für Sachbücher. Und ich kann nur sagen: Das ist gut so. Denn auch dieses Buch sollten definitiv möglichst viele Menschen lesen.
Die beiden Autoren führen Ihre LeserInnen über einen klar abgesteckten Pfad durch den Dschungel des Finanzmarkt-Wahnsinns. Im Vorwort „Der programmierte Crash“ stellen die beiden gleich zu Beginn klar: „Es gibt keine Heilung und keine Lösung innerhalb des bestehenden Systems.“ (S. 16) Für viele, vielleicht die meisten Menschen mag dies ein Schlag ins Gesicht sein. Viele tun doch irgendwie noch so, als wäre genau dies möglich. Ein bisschen hier optimieren, ein bisschen da, und die Party kann weitergehen. Ja, vielleicht doch auch noch ein bisschen Regulation, aber nicht zuviel, und dann können wir ewig weiterwachsen und immer mehr konsumieren. Aber nein: Der Crash ist die Lösung!
Die ersten 80 Seiten dienen der Klärung, „warum die Krisenverursacher die Krisengewinner sind“. Trotz all der teils wortwörtlichen, juristisch definierbaren Verbrechen der Finanzindustrie sind die Banken, vor allem jene, die als systemrelevante Unternehmen „to big to fail“ sind, die Gewinner. Da wo die Verluste sozialisiert werden, ist es ihnen möglich, im asozialen eigennutzenmaximierenden Gegenzug die Gewinne zu privatisieren und auf die Konten ihrer leitenden Angestellten sowie ihrer Hauptaktionäre zu leiten. Soweit ist das ja nichts Neues. Das aber auch Sparkassen und Volksbanken längst nicht so fair sind, wie sie immer darstellen, hat mich durchaus überrascht. Bei einem Vergleich von 1538 Banken durch die Zeitschrift Finanztest zeigte sich, dass gerade ländliche Banken „ihre Monopolstellung dort gnadenlos aus(nutzen)“ indem sie völlig überzogende Dispo-Zinsen verlangen. Lag der Leitzins im August 2013 bei 0,5%, so forderten die besagten Institute im Durchschnitt dreiste 11,31%. Nein, das hat mir Fairness und Menschlichkeit nichts zu tun.
Dann folgt eine Betrachtung des Exportweltmeisters Deutschland. Einerseits geht’s uns scheinbar noch recht gut, auch und gerade im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn. Allerdings verbergen sich hie und da einige ziemlich unschöne Superlative. Zum Beispiel die Vermögensverteilung. Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellte fest, das in der Eurozone Vermögen nirgends so ungleich verteilt sind, wie in Deutschland. Da erinnere ich mich noch mit Ekel an das medienprofessionelle Lächeln Ursula von der Leyens zur Präsentation des Armut- und Reichtumsberichts. Oder der Anteil der Niedriglohnjobs: „Nur Lettland, Litauen, Rumänien und Polen haben in Europa einen höheren Anteil and Geringverdiendern in Deutschland!“ (S. 95) Die Frage der beiden, ob der Exportweltmeistertitel und die Unternehmensgewinne auf Kosten der Geringverdiener gründen, verstehe ich unmissverständlich als rhetorische Frage.
Von Deutschland führt die Reise weiter durch den Rest Europas – und bringt Erschreckendes zu Tage. Besonders horrend ist der völlige Irrsinn einer Immobilienbefeuerung in Großbritannien, gerade so, als hätte es vor sieben Jahren keine geplatzte Immobilienblase aufgrund der genialen Idee von Subprime Krediten gegeben. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 20%, einer Arbeitslosenquote von 7,2% und einem Gesamtschuldenberg von 1,4 Billionen Pfund, der damit leistungsstarken 978% des britischen BIPs entspricht und damit den Maastricher Vertrag nur ganz knapp verfehlt, kam die Cameron Regierung doch allen Ernstes auf die Idee, die Eigenkapitalquote für einen Immobilienkauf auf 5% zu senken. Ja, Ihr dürft Euch die Augen reiben, ob Ihr richtig gelesen habt. Wir dürfen kollektiv einen Schreianfall bekommen. Da wird gerade offensichtlich die „Immobilienblase 2.0“ aufgepumpt. Oder der offensichtlich völlig verfilzte italienische Regierungsbetrieb: Die gesamte Profipolitik kostet Italien jährlich 24 Milliarden Euro. Davon könnten 15 eingespart werden, wenn die Kosten „auf das Niveau anderer großer EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien reduziert würde.“ (S. 155). In den Kosten enthalten sind preisbewusste Investitionen in den Palast des Regierungspräsidenten von einer lockeren Viertelmillarde Euro, der damit doppelt soviel kostet wie der Elysée-Palast, obwohl der italienische Staatspräsident wesentlich weniger Amtsbefugnisse hat als der französische Kollege. Ach ja, und dann natürlich noch so appetitliche Kleinigkeiten wie eine altrömische Orgie mit Teilnehmern in Schweinekostümen.
Das ist Europa. Und der Rest der Welt? Den beleuchten die beiden Schwaben natürlich auch und kommen zu ebenso verheerenden Ergebnissen bei der Betrachtung der USA, Japan und China. Da es offensichtlich so nicht weitergehen kann, werden im Hintergrund bereits die ersten Enteignungsprogramme und Zwangsabgaben geschmiedet. Der IWF brachte eine mögliche Schuldensteuer von 10 Prozent auf alle Vermögen ins Gespräch. Die Deutsche Bundesbank kommt auf ähnliche Ideen für die Krisenstaaten. Aber das sind bislang nur Diskussionspunkte. Fakt hingegen ist bereits die Collective Action Clause, durch die „Besitzer von Staatsanleihen gegen ihren Willen im Notfall rückwirkend enteignet werden.“ (S. 206). Damit jedoch nicht genug: Die EU-Kommission untersucht, wie die „Pensionsgelder der 500 Millionen EU-Bürger für langfristige Projekte“ genutzt werden könnten. Oder ein weiterer Ansatz, der vorschlägt durch die Enteignung der privaten Sparvermögen die Krise in Europa zu lösen. Das alles klingt durch und durch ermutigend.
Dann folgt das Kapitel zum Schutz des eigenen Vermögens, dass für den Untertitel Pate stand. Die zahlreichen Tipps lasse ich hier raus, versteht es als Appetizer, um selbst nachzulesen, wie Ihr Euer teils hart erarbeites Vermögen, sofern Ihr eines habt, sichern könnt. Ein paar Zeilen hingegen noch zum Schlusskapitel „Der Crash ist die Lösung“: Dort listen die beiden Autoren erst einmal die „Hauptfaktoren und Brandbeschleuniger der Krise“ auf. Daraus leiten sie dann „Erste Schritte zu einem nachhaltigen Wirtschafts- und Finanzsystem“ ab:
- Unkontrollierte Geldschöpfung verhindern, z.B. durch den Einsatz einer Monetative als vierter Staatsgewalt
- Strengere Bankenregulierung
- Einheit von Risiko und Haftung
- Lobbyismus offenlegen und kontrollieren
- Verschwendung von Steuergeldern verhindern
- Vereinfachte und gerechtere Steuersysteme*
- Marshallplan für Krisenstaaten
- Abschied von Weltwährungen (die allesamt bislang scheiterten)
- Finanzieren im Hier und Jetzt
- Gedecktes Geld
- Bewusst konsumieren und investieren.
Im nächsten argumentativen Schritt folgt eine kurze, aber doch fundamentale Reflexion über Geld: Das wir es alle brauchen, aber dass dem nicht immer so war; dass Geld eben keineswegs immer zum Tauschen von Gebrauchsgütern da war; dass es immer wieder Münzverschlechterungen und Papiergeld Krisen gab und dass der Goldstandard mit globalem Handel nicht funktioniert. Darauf hin machen die Matthias und Marc Platz für zwei Gastautoren die über die Vorzüge des Vollgelds und der Regionalwährungen schreiben – durch und durch spannend, vor allem – aus meiner Sicht – der Ansatz des Vollgeldes, der vor allem darauf basiert, dass die Geldschöpfung endlich wieder verstaatlicht wird (Monetative) und nicht mehr der privaten unverschämten Gewinnmaximierung von Banken dient, indem diese Giralgeld auf Knopfdruck erzeugen und mit etwas Geld verdienen, was es vorher gar nicht gab und was nach der Kredittilgung einfach wieder verschwindet.
Den radikalen Abschluss finden die beiden in einer kurzen Überlegung zu einer Neuorientierung unserer Gesellschaft, die ein wirklich stabiles Fundament braucht aus Bildung und Erziehung, Mündigkeit, Werte, Moral und Ethik, Demut und Dankbarkeit und – last not least – Liebe und Vertrauen. Wenn das heute zwei junge Ökonomen schreiben, dann besteht noch Hoffnung.
Was mich bei allem was Matthias und Marc wieder sehr gut gemacht haben, abstößt, ist die naive, immer wiederkehrende Zitiererei der menschlich und intellektuell überaus unangenehmen russisch-amerikanischen Autorin Ayn Rand, die bis heute absurderweise ein amerikanisches Millionenpublikum verzückt – aber bitte bis in die höchsten Kreise. Rand entwickelte einen albernen, leicht zu widerlegenden „Objektivismus“, der beispielsweise Alan Greenspan dazu animierte, weiterhin zu glauben, der „Markt“ habe immer Recht. Aber Rand geht noch viel weiter – und steht für all das, was Matthias und Marc so überzeugend und mit Daten belegt kritisieren. Hey Ihr zwei, das versteh ich wirklich nicht. Mehr über den menschenverachtenden und selbstwidersprüchlichen Schwachsinn Ayn Rands finden sich im letzten Abschnitt meiner Rezension von →“Arme Milliardäre„.
Fazit: Ja, mal wieder: Ein Buch für alle. Für all diejenigen, die längst nicht mehr daran glauben, dass unser momentanes Finanz- und Wirtschaftssystem dauerhaft erfolgreich sein kann, geschweige denn, dass es für den „Wohlstand der Nationen“ sorge…
Herzliche Grüße
Andreas
Weik, M.; Friedrich, M. (2014): Der Crash ist die Lösung. Warum der finale Kollaps kommt und wie sie Ihr Vermögen retten. Eichborn. Hardcover mit Schutzumschlag, 381 Seiten. € 19,99
* Das Steuern wirklich einfach und elegant erhoben werden können weiß ich aus eigener Erfahrung: Eine Freundin arbeitet in Schweden. Sie erhält dort nur eine einfache SMS, in der Sie gefragt wird, ob sie mit den erhobenen Steuern einverstanden ist, die von der Steuerbehörde in Eigenregie ermittelt wurde. Wenn ja, war das bereits die Steuererklärung. Wenn nein, wird es etwas komplizierter. Die Erfahrung zeigt: Die bisherigen Ermittlungen der Steuerhöhe waren völlig in Ordnung. Das ist sogar noch einfacher als die Steuererklärung auf einem Bierdeckel – an der die deutschen Politiker jämmerlich gescheitert sind.
Danke für die Besprechung! Ich werde es lesen. Das klingt sehr spannend.
Hallo Ralph – gern geschehen! Freut mich, dass das Buch damit wenigstens schon mal einen neuen Leser gewonnen hat 🙂
Ein schönes Wochenende
Andreas
Jetzt zwei 🙂
Ich habe heute dieses Interview gehört:
http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/wirtschaft_aktuell/201410/211595.html
und bin dann bei der Recherche nach Marc Friedrich und Matthias Weik auf diese Besprechung gestossen. Danke hierfür!
Lieber Mimosenmann (lustiges Pseudonym…)
danke für den tollen Link, habe mir den Beitrag eben angehört. Tatsächlich einer der vielen weiteren Skandale. Danke für den Dank zur Besprechung, gern geschehen!
HGAZ
Mir ging es auch so, denn auch mir wurden beide Bücher zwecks Besprechung von den Autoren angeboten. Obwohl dieses Thema nicht gerade mein Fach ist, habe ich mich durchgearbeitet und sowohl für meinen Mann, wie auch für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, ein Buch von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen.