Das Ende des Managements

Liebe Leserinnen und Leser!

2007 erschien das Original dieses Buches unter dem englischen Titel „The Future of Management“. Offensichtlich wurde in der deutschen Übersetzung aus der Zukunft kurzerhand das Ende. Ich erinnere mich noch, das ich dies anfänglich ziemlich sonderbar fand. Ist es doch eine gänzlich andere Bedeutung. Heute sehe ich das anders. Die Übersetzung wird dem Problem und der Lösung eher gerecht. Denn der Begriff „Management“ ist zutiefst geprägt, imprägniert und verseucht durch Vorannahmen und Vorgehensweisen, die für eine menschliche und damit erfolgreichere Wirtschaft keinen Sinn machen. Woher der Begriff genau stammt, ist umstritten. Eine mögliche Wortherkunft stammt aus dem lateinischen „manus agere“: an der Hand nehmen und Führen. Das machen wir zurecht mit unseren Kindern, sollten es aber unseren Mitarbeitern gegenüber unterlassen. Doch bis heute wird genau das immer noch häufig praktiziert: Eine Arbeitsbeziehung, in der einer oben und die andere unten ist; in der Verantwortung entzogen und angewiesen wird, teilweise bis hin zur Schreibtischordnung. Deshalb ist der deutsche Titel zutreffender für die radikalen Änderungen, die Gary Hamel vorschlägt und an Hand erfolgreicher Unternehmensbeispiele ausführlich illustriert. Auch wenn wir dafür noch keinen neuen, inspirierenden Begriff haben. Aber dieses Vakuum fördert die Kreativität und einen visionären Blick über das Althergebrachte hinaus.

Im Gegensatz zum Begriff „Management“ ist das Wortmonstrum „Managementinnovation“ keineswegs so bekannt. Hamel meint damit „jeden Eingriff … der die Ausübung des Managements nachhaltig verändert oder die üblichen Organisationsformen wesentlich modifiziert und auf diese Art den Zielen der Organisation dient.“ Soweit so gut. Aber warum ist die Erneuerung des Managements überhaupt nötig? Hamel führt folgende Veränderungen an:
  • Heute gehen Wettbewerbsvorteile schneller denn je verloren. Davon sind nicht einige Unternehmen betroffen, sondern gleich ganze Branchen: traditionelle Fluglinien, klassische Kaufhäuser, Fernsehanstalten, amerikanische Automobilhersteller, Zeitungsverlage…
  • Eintrittsschwellen in viele Branchen wurden gesenkt, „es breitet sich eine Art „Wettbewerbsanarchie“ aus“ (S. 24)
  • Durch die Digitalisierung werden Branchen bedroht, die von der Entwicklung und dem Verkauf geistigen Eigentums leben
  • Durch das Internet wandern Kunden wesentlich schneller als zuvor ab und suchen neue Anbieter
  • Lebenszyklen von Strategien verkürzen sich
  • Durch die Globalsierung entstehen viele neue Konkurrenten, die es zuvor nocht nicht gegeben hat.
Im nächsten Schritt stellt Hamel eine Hierarchie der Potentiale verschiedener Innovationsbereiche vor: Innovation der Betriebsabläufe, Produkt-/Dienstleistungsinnovationen, Strategische Innovationen und Managementinnovation. Letztere kann dabei, wenn richtig angepackt, die nachhaltigsten und weitreichendsten Wirkungen haben. Gleichzeitig bedeutet die Innovation des Managements natürlich, dass sich die Vertreter des (Top-)Managements selbst in ihrer Rolle und ihren Aufgaben hinterfragen. Und das fällt offensichtlich den meisten ausgesprochen schwer. Deshalb wird lieber am Es der Unternehmung herumgebastelt, losgelöst von den eigenen Aufgaben und den eigenen Stärken und Schwächen. Innovation allerorten, nur keine Innovation des Managements selbst.
Die theoretischen Analysen und Konzepte werden sowohl durch Unternehmensbeispiele illustriert als auch auf deren Basis entwickelt. Das erste umfassende Praxisbeispiel ist die amerikanische, weltweit größte Biosupermarktkette Whole Foods Market. Dort entscheiden die Mitarbeiter, welche Lagerbestände aufzufüllen sind, sie haben ein Vetorecht bei Einstellungen neuer Mitarbeiter und wissen, was jeder andere Angestellte verdient. Des weiteren sind die Gehälter der Führungskräfte auf das 19fache des Durchschnittsverdiensts begrenzt. Genauso visionär und radikal ist folgende Bemerkung von John Mackey, dem Gründer und jetzigen „Co-Chief Executive Officer“: „Um dieses Unternehmen verstehen zu können, muss man wissen, dass seine Gründer nicht wussten, wie sie es aufbauen sollten.“ (S. 119)
Und weil eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, geht die Beispielreise weiter: zum „Aufbau einer Innovationsdemokratie“ bei W.L.Gore, dem Erfinder und Hersteller von Gore-Tex, der wasserdichten aber Luft- und Dampfdurchlässigen Faser, die Ihr alle sicher in der einen oder anderen Form seit Jahren nutzt, sei es in Schuhen, Jacken oder sonst wo. Wilberg „Bill“ Gore verließ 1958 nach einer 17 jährigen Karriere DuPont und gründete sein eigenes Unternehmen. Im Jahr 2007 hatte es einen Jahresumsatz von 2,1 Milliarden US Dollar erreicht und beschäftigte über 8000 Mitarbeiter an 45 Standorten weltweit. Anfänglich fragte sich Gore, warum ein ganzes Unternehmen nicht als „bürokratiefreie Zone konzipiert werden (kann).“ (S. 126). Heute gibt es keine Managementebenen, kein Organigramm. Die Teams können ihre Leiter aus der Führungsrolle entlassen, so dass sich die Führungskräfte den Führungsanspruch stets aufs Neue verdienen müssen. Neue Mitarbeiter bekommen keine exakte Stellenbeschreibung, „sondern werden nur mit einer grob eingegrenzten Funktion betraut.“ (S. 131). Mit der sogenannten „Steckenpferdzeit“ steht allen Mitarbeitern ein halber Tag pro Woche zur freien Verfügung. In dieser Zeit können sie neue, eigene Projekte aufsetzen, herumexperimentieren, eigene Ideen entwickeln und erforschen. Auf diese Weise entstand unter anderem die beschichtete Gitarrenseite „Elixir“ die doppelt so häufig vertrieben wurde, wie das wichtigste amerikanische Konkurrenzprodukt.
Aus diesen und weiteren inspirierenden Fallbeispielen destilliert Hamel sechs große Herausforderungen:
  1. Eine Demokratie der Ideen aufbauen.
  2. Die menschliche Vorstellungskraft erweitern.
  3. Die dynamische Umverteilung der Ressourcen.
  4. Das kollektive Wissen bündeln.
  5. Den Sog der alten Denkmodelle verringern.
  6. Eine Chance für jeden, sich freiwillig zu engagieren.
In diesem Zusammenhang ruft Hamel abschließend zum Mitarbeiterungehorsam auf. Er schlägt vor, folgende Zwei Fragen ins Intranet es eigenen Unternehmens zu stellen, sie zu Beginn von Sitzungen zur Sprache zu bringen oder am Ende von Diskussionen in Erinnerung zu rufen:
  1. „Welche neuen und besonderen Merkmale wird unser Managementsystem in fünf Jahren haben?
  2. Wie wird unsere Managementmethode einen Wettbewerbsvorteil sichern?“ (S. 354)
Fragen die es in sich haben. Fragen die Sprengstoff sind. Und hoffentlich vom einen oder anderen gestellt werden und zu den nötigen Erneuerungen des Managements führen.

Ganz und gar nicht teile ich die mögliche Annahme, dass Management „zu den großartigsten Erfindungen der Menschheit zählt und mit dem Rad, der Schriftsprache und der Demokratie auf eine Stufe zu stellen ist.“ (S. 18) Absolut absurd. Grotesk. Rollen wir das Feld von hinten auf: Mangement ist die generalstabsmäßig geplante Außerkraftsetzung unserer Demokratie. Es ist der dauerhafte Ausnahmezustand. „Unternehmen sind keine demokratische Veranstaltungen“, ein Satz den ich im Zusammenhang mit Mitarbeitermitbestimmung und Selbstorganisation immer wieder höre oder lese. Menschen werden in Unternehmen einiger ihrer demokratischen Grundrechte entledigt, müssen sie an der Pforte abgeben. Die Anstellung der Geschäftsführungen und Vorstände durch das bestehende Top-Management ist ein feudales oder – je nach Radikalität – sogar totalitäres Prinzip, das wir gesamtgesellschaftlich verachten. In unserer Gesellschaft werden die demokratischen Grundrechte nur im Ausnahmezustand außer Kraft gesetzt. In Unternehmen ist dies die Regel. 
Management mit der Schriftsprache zu vergleichen ist ebenso verfehlt. Denn Handschrift und später der Buchdruck sind zunächst leer, sie weisen keine spezifischen Werte oder Inhalte auf. Es ist eine Kulturtechnik, die genauso für menschenwürdige und menschenverachtende Texte genutzt werden kann. Die Bibel ist Schrift. „Mein Kampf“ ist Schrift. Und Millionen andere Inhalte. Das von Hamel gemeinte Management hingegen ist tayloristisch durchsetzt und basiert auf einem typischen Menschenbild, das Douglas McGregor „Typ X“ genannt hat: Der Mensch ist faul, dumm und nicht vertrauenswürdig. Deshalb braucht es die Trennung von Denken und Handeln, von Planen und Ausführen; deshalb müssen Mitarbeiter extern Karotten vor die Nase gebunden bekommen, denn sie verfügen über keine intrinische Motivation, keine Sinnkopplung, sie müssen mit Geld und geldwerten Vorteilen motiviert werden; deshalb braucht es Kontrolle, denn Mitarbeiter drücken sich soweit möglich um die Arbeit, klauen und veruntreuen. Das alte, klassische „Scientific Management“ ist ein klar spezifizierter Inhalt und keine Kulturtechnik, die für alles mögliche genutzt werden kann. Klassisches Management begrenzt Unternehmen in ihrer vollen Entfaltung menschlichen Potentials und ist unter den veränderten Bedingungen von Komplexität und Dynamik, mithin von gesteigerter Unsicherheit eine schlechte Wahl. Nicht zuletzt, weil Management damit weitaus größere Erfolgschancen und gesteigerten Unternehmensgewinn aktiv verhindert.

 

Fazit: Hamels „Ende des Managements“ ist eines der Standardwerke für eine menschliche Gestaltung und Steuerung von Unternehmen und Organisationen. Es ist eines der Bücher, die jeder lesen und immer wieder herausholen sollte, der/die Interesse an menschlichem, sinnvollen Wirtschaften hat. 

 

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

 

Hamel, G. (2008): Das Ende des Managements. Unternehmensführung im 21. Jahrhundert. Econ. Gebunden, 384 Seiten. 24,90€

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  1. Wrong Turn - Zeuchs Buchtipps sagt:

    […] von anderen Autoren wie Niels Pfläging (→Führen mit flexiblen Zielen) oder Gary Hamel (→Das Ende des Managements) geschrieben wurde, fand ich es irritierend, dass einige Quellen und Vordenker nicht klar […]

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