Das demokratische Unternehmen

Demokratie liegt in der Luft. Genauer: Unternehmensdemokratie. Am 08. September erschien mein eigenes Buch „Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten„. Ungefähr drei Wochen später wurde das nächste Buch explizit zum Thema Unternehmensdemokratie veröffentlicht. Eine Häufung dieses Themas, die es in den letzten Jahren so noch nicht gegeben hat. Der neue Sammelband unter der Herausgeberschaft von Thomas Sattelberger, Isabell Welpe und Andreas Boes ist gewissermaßen der erweiterte Bericht der Konferenz „Democratic Organization“, die im Februar 2012 an der Technischen Universität München veranstaltet wurde.

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Das Werk gliedert sich in drei Teile, wovon die ersten beiden vorwiegend theoretischer und wissenschaftlicher Natur sind: Erstens, „Perspektiven auf die Demokratisierung der Wirtschaft“, zweitens „Transformationaler Wandel in der Wirtschaft – Reflexionen zu Beteiligung und Demokratie in modernen Unternehmen“ und drittens „Experimente, Erfahrungsfelder und Leuchttürme.“ Bezeichnenderweise ist das Buch bei Haufe erschienen, der Unternehmensgruppe, die seit geraumer Zeit mit dem Slogan „Mitarbeiter führen Unternehmen“ auf dem Markt auftritt und zu der die Haufe-umantis AG mit ihren wohlbekannten Führungskräftewahlen gehört.

Die ersten beiden Teile nehmen mit 167 Seiten etwas mehr als die Hälfte des Buches ein. Es wird, wie auch die erwähnte Konferenz, von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit einem Beitrag zum sozialstaatlichen Rahmen eröffnet. Im weiteren Verlauf folgen Beiträge vom Unruheständler Thomas Sattelberger, der sich mittlerweile bekanntermaßen nach seiner zentralistischen top-down Zeit als Vorstand verschiedener DAX Unternehmen (Lufthansa, Continental, Telekom) zum glühenden Verfechter von Unternehmensdemokratie wandelte. Er spricht und schreibt gerne vom „Unternehmensbürger“ als Alternative zum abhängig Beschäftigten.

Die weiteren Beiträge sind im Großen und Ganzen Reflexionen über das Konzept der Unternehmensdemokratie, die Vorbedingungen der Verwirklichung und der Transformation vom Top-Down hin zur demokratischen Unternehmensverfassung. Natürlich gehört in einen wissenschaftlich fundierten Sammelband auch eine eigene Studie der Herausgeber (Welpe & MitarbeiterInnen), die die Bedeutung der Demokratisierung untermauert: „In einer Befragung von 1000 Arbeitnehmern in Deutschland wurden den Teilnehmern Fragen zur Akzeptanz und Realisierbarkeit demokratischer Organisationsstrukturen gestellt.“ (S. 84) In Summe wird deutlich, dass es ein großes Interesse an der Demokratisierung von Unternehmen gibt, die Realisierbarkeit aber skeptisch gesehen wird. Es gibt also einerseits großen Bedarf und andererseits noch viel zu tun.

Im dritten Teil folgen die Berichte aus der Praxis, verfasst zumeist von den obersten Führungskräften der Unternehmen. Folgende Unternehmen werden auf den restlichen 121 Seiten vorgestellt:

  1. partake AG, Gründungsberatung, Gründung 2013, 56 MitarbeiterInnen (2014)
  2. William Demant Holding A/S*, Gründung 1904, Gesundheitswesen (Hörgeräte & -implantate etc.),
  3. Sparda-Bank München eG, Finanzdienstleistung, Gründung 1930, 705 MitarbeiterInnen (2012)
  4. oose Innovative Informatik eG, IT Software-Entwicklung, Gründung 1998, 38 MitarbeiterInnen (2015)
  5. Microsoft Deutschland GmbH, IT Software-Entwicklung, Gründung 1983, 2700 MitarbeiterInnen (2011)
  6. Haufe-umantis AG, IT Software-Entwicklung, Gründung 2001, 150 MitarbeiterInnen (2014)
  7. it-agile, IT Software-Entwicklung, Gründung Gründung 2005, 30 MitarbeiterInnen (2014)

Beim Blick auf die Branchen fällt sofort zweierlei auf: Erstens ein klares Übergewicht auf Seiten der Branche, immerhin sind von sieben Unternehmen vier im Bereich IT/Software-Entwicklung tätig. Somit stammen gut 57% der Beispiele aus einem Bereich, der ohnehin schon länger bekannt ist für agiles, selbstorganisiertes Vorgehen, was bekanntermaßen agilen Projekt- und Programmiermethoden geschuldet ist. Zweitens sind mit drei Unternehmen knapp die Hälfte der Beispiele kleine Firmen mit deutlich unter 100 MitarbeiterInnen. Natürlich ist es auch in dem Größenbereich nicht üblich, demokratisch organisiert zu sein, es ist erfreulich, aber alleine logistisch noch relativ einfach zu bewerkstelligen. Wirklich interessant wird es eher bei einer Größe wie der der Haufe-umantis AG mit 150 MitarbeiterInnen oder der Sparda-Bank München mit ihren über 700 MitarbeiterInnen.

Die Fallbeispiele sind durchgängig anregend und zeigen, wie die ausführlichen Beispiele meines eigenen Buches, dass es keine Best Practice gibt. Es gibt ebensoviele Unternehmensdemokratien wie Fälle. Allerdings ist es überaus fragwürdig, warum mit Microsoft Deutschland ein Unternehmen als „Leuchtturm“ der Demokratisierung in das Portfolio der Fallbeispiele aufgenommen wurde. Ein Unternehmen, dessen Datenschutzbestimmung zu der neuesten Betriebssystemversion weitreichende Zugriffsrechte auch auf private Daten vorsieht, was ja unlängst zu weitreichender Kritik geführt hat. Desweiteren ist zumindest offen, inwiefern der Konzern tatsächlich frühere, alles andere als demokratische Arbeitsbedingungen, geändert hat. Alles in allem wirft das Beispiel Microsoft ein sonderbares Licht auf die Auswahl der Fallbeispiele.

Fazit: Ein umfassender Band mit vielfältigen Beiträgen aus Wissenschaft, Politik und unternehmerischer Praxis. An wen genau sich das Buch richtet, wird infolge der weiten inhaltlichen Spreizung nicht ganz deutlich. Das Buch ist einerseits schön gemacht, wird aber andererseits zu einem gesalzenen, eher eilitären Preis vertrieben.

 

Herzliche Grüße

Andreas Zeuch

* Leider finden sich in dem Buch keine durchgängigen Daten zu den präsentierten Unternehmen. Ich musste die Daten in der Liste der Fallbeispiele selbst recherchieren. Zur William Demant Holding habe ich keine Angaben über die Mitarbeiteranzahl gefunden.

Sattelberger, T.; Welpe, I.; Boes, A. (2015): Das demokratische Unternehmen. Neue Arbeits- und Führungskulturen im Zeitalter digitaler Wirtschaft. Haufe. Hardcover, 310 Seiten. € 59,-

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