Business Model Generation
Liebe Leserin, lieber Leser!
Hier schreibe ich und kann nicht anders: Nach dem letzten Methodenbuch gleich noch eins. Ähnlich wie bei →“Coopetition“ von Brandenburger und Nalebuff haben Osterwalder, Pigneur und die 470 MitautorInnen viele der gängigen Werte, Grundannahmen und Verhaltensweisen unserer heutigen Wirtschaft unhinterfragt übernommen. Aber sie haben einen mächtigen Werkzeugkasten entwickelt, der auch jedem echten Visionär, Spielveränderer und Herausforderer eine große Hilfe bei der Entwicklung seines Geschäftsmodells sein kann. Nicht nur all den Hobbyvisionären, die Innovation höchstens bis zum Geschäftsmodell vorantreiben, das Managementsystem aber schön so belassen wie wir es seit über hundert Jahren von Frederick Taylors mitarbeiterverachtenden Gorillametapher¹ kennen.
Das Buch umfasst die fünf Kapitel Canvas, Muster, Design, Strategie und Prozess gefolgt von einem Ausblick. Das eindeutige Herzstück ist die Business Model Canvas, die Leinwand. Sie bildet die neun Bausteine ab, die jedem Geschäftsmodell zu Grunde liegen: Kundensegmente, Wertangebote, Kanäle, Kundenbeziehungen, Einnahmequellen, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselpartnerschaften und die Kostenstruktur. Das Ganze zieht sich als abstraktes Muster durch das ganze Buch, auf das immer wieder Bezug genommen wird:
Nachdem die einzelnen Bausteine im ersten Kapitel definiert und illustriert wurden, finden sich im zweiten Kapitel fünf Geschäftsmodell-Muster: Entflechtungsmodelle, Long-Tail, Multi-sided Platforms, Free und Open Business Models. Diese generellen Muster sind gewissermaßen eine Blaupause, wie ein Geschäftsmodell grundsätzlich funktionieren kann. Natürlich dürften zu diesen furiosen Fünf mit der Zeit weitere Muster hinzukommen, die in Zukunft erfunden werden. Diese Muster bringen Klarheit in den grundsätzlichen Mechanismus eines Geschäftsmodells und sind insofern durchweg hilfreich, um sein vorhandenes oder neu zu entwickelndes Geschäftsmodell besser zu verstehen.
Wirklich beglückt hat mich das dritte Kapitel: Design. Auf einmal wurde mir klar, dass ich mit meinem künstlerischen Selbstverständnis (immerhin hab ich ja mal Musiktherapie studiert, Musik komponiert, gemacht, aufgeführt und aufgenommen, habe zehn Jahre Theater gespielt und damit sogar Geld verdient…) bestens geeignet bin, um Geschäftsmodelle zu entwickeln. Eben weil es ein kreativer Designprozess ist. Alle Geschäftsleute, die diese Erfahrung nicht machen konnten, „… müssen Designer nicht nur besser verstehen; sie müssen Designer werden.“ (Roger Martin, Dekan der der Rotman School of Management).
Der Prozess hin zum fertigen Geschäftsmodell ist auch noch in einem weiteren Punkt sehr kunstähnlich: Die Erzeugung von Geschäftsmodell-Prototypen dient dazu, als gedankliches Modell hin und her gewendet und in vielen Varianten durchdacht zu werden. Es ist genau so wie mit unzähligen Skizzen, die einem Gemälde vorausgehen. Kunst ist eben nicht nur kreativ, sondern auch ungeheure Fleißarbeit, das Erforschen unzähliger Varianten und Versionen bis die eine gefunden wird, die am Ende Wirklichkeit wird und erstrahlt. Das Buch bietet dazu in diesem Kapitel sechs gut nachvollziehbare Gestaltungstechniken, um endlich ins Tun zu kommen.
Im vierten Kapitel erfolgt eine Neuinterpretation von Strategie vor dem Hintergrund der Business Model Canvas. Die Autoren untersuchen die Geschäftsmodellumgebung, das Einschätzen von Geschäftsmodellen, die Geschäftsmodellperspektive auf die Blue-Ocean-Strategien und letztlich den Umgang mit mehreren Geschäftsmodellen in einem Unternehmen. Auf diesem Weg gewinnt die Strategieentwicklung eine neue Perspektive, die es lohnt, durchdacht zu werden.
Der Hauptteil des Buches schließt mit dem Prozess, wie ein Geschäftsmodell gestaltet wird. Dieser Prozess ist ein „Ausgangspunkt, von dem nahezu jede Organisation ihre eigenen Vorgehensweise individuell einrichten kann.“ (S. 248). Es gilt, fünf Herausforderungen zu meistern: Das richtige Modell finden, das Modell vor einer vollständigen Einführung testen, den Markt veranlassen, das neue Modell zu übernehmen, das Modell kontinuierlich an das Feedback des Marktes anpassen und letztlich mit Unwägbarkeiten umgehen.
Im Ausblick werden fünf zukünftige, wichtige Themen angerissen: Wie kann das #BMGEN Geschäftsmodellinnovationen im öffentlichen und Non-Proft-Sektor steuern? Wie kann die bisherige, manuelle Gestaltung von Geschäftmodellen durch Computer unterstützt werden? In welchem Zusammenhang stehen Geschäftsmodelle und Businesspläne? Wie können Geschäftsmodelle in neuen oder bestehenden Organisationen implementiert werden? Wie können Geschäftsmodelle und IT besser auf einandern abgestimmt werden. Diese Fragen bieten reichlich Stoff für neue Bestseller.
Wirklich erstaunlich und auch ein wenig erschreckend: Die Weisheit der vielen AutorInnen hat sich in einigen Punkten offensichtlich in den Urlaub verabschiedet. Im Kapitel über Strategie findet sich auf Seite 212 als eine der wichtigsten Fragen zu den globalen Marktbedingungen welche Wachstumsrate das BIP habe. Das diese Kennziffer auch wirtschaftlich äußerst fragwürdig ist, wissen wir nicht erst seit heute morgen. Und sie ist natürlich mehr als nur eine Zahl. Sie ist ein Symbol für ein völlig überholtes, eindimensionales und unmenschliches Wirtschaftsverständnis (vergleiche →“Gleichheit ist Glück“ von Wilkinson und Pickett sowie →“Wohlstand ohne Wachstum“ von Jackson).
Ebenso konservativ wirkt die Frage, ob das Geschäftsmodell nach einer hochzentralisierten oder einer dezentralisierten Organisationsstruktur verlangt. Es ist doch schon eine ganze Weile anzuzweifeln, ob Organisationen und Unternehmen überhaupt noch dauerhaft erfolgreich geführt werden können, wenn sie „hochzentralisiert“ sind. Wie sollen solche Unternehmen agil und flexibel sein, um sich schnell dem hochvariablen Markt anzupassen?
Fazit: Das Geschäftsmodell ist in jedem Unternehmen, egal ob in Gründung oder schon lange etabliert, ein zentrales Element. Somit kommen alle Unternehmen irgendwann an den Punkt, ihr Geschäftsmodell (neu) erfinden zu müssen. Das #BMGEN setzt genau da an und ist für alle ein hervorragender Werkzeugkoffer, um genau diese Aufgabe mit Erfolg zu meistern. Das Buch hat konsequenterweise ein exquisites Design, zahlreiche oft hilfreiche Abbildungen und macht so von Anfang bis Ende Spaß.
Kurzum: Eine tolle Wochenendlektüre auch für alle, die ihr Geschäftsmodell für eine menschliche, dem Gemeinwohl dienende Wirtschaft entwickeln wollen. Die eigentliche Arbeit geht danach natürlich erst richtig los. Also: Ärmel hochkrempeln und ab dafür.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Osterwalder, A.; Pigneur, Y. (2011): Business Model Generation. Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer. Paperback, gebunden, 285 Seiten. 34,99€
1) Taylor beschrieb Arbeiter in seinem Standardwerk „Die Grundsätze wissenschaftilcher Betriebsführung“ tatsächlich als Gorillas, die zu dämlich sind, ihre eigene Arbeit zu organisieren. Dem haben wir unsere bis heute gültige Trennung von Ausführung einerseits und Steuerung der Arbeit durchs Management andererseits zu verdanken. Mehr dazu in meinem Buch „Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen“.
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