Glücksökonomie
Liebe Leserinnen und Leser!
Oekom hat uns wieder bereichert. Von dem Münchner Nachhaltigkeitsverlag habe ich mittlerweile ja schon einige Bücher rezensiert (→“Befreiung vom Überfluss„, „Corporation 2020„, „Small is beautiful„). Jetzt ist es wieder soweit. Nach anfänglichem Zögern – der Titel war mir irgendwie suspekt – habe ich dann doch angefangen zu lesen und war schnell angetan. Was die beiden Publizistinnen Annette Jensen und Ute Scheub geleistet haben, ist beachtlich und sollte unbedingt eine breite Leserschaft finden. Das Buch bietet nicht nur eine reiche Fülle an Fakten über die Folgen von Kapitalismus und neoliberaler Wirtschaftstheorie, sondern vor allem zahlreiche inspirierende Beispiele, wie Glücksökonomie verwirklicht und im Alltag gelebt werden kann. Das lohnt einer genaueren Betrachtung:
Die beiden Autorinnen beginnen mit den Ergebnissen der internationalen Glücksforschung – und erinnern gleich zu Beginn an die relativ bekannte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll, die ich selbst auch immer wieder gerne erzähle. Da rät ein Tourist einem auf seinem Boot faulenzenden Fischer, wie er durch mehr Fleiß und ruhelose Arbeit zu Reichtum gelangt, sich erst ein größeres Boot leisten kann, dann ein zweites, drittes, mit den Jahren eine ganze Flotte, um am Ende mit einem Hubschrauber die eigene Fangflotte zu steuern und zu kontrollieren. Und dann, ja dann, nach all den Jahren der harten Arbeit kann er sich wohlverdient zurücklehnen, „in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.“ (S.13). Tja, eigentlich wäre damit schon fast alles gesagt, Böll war eben in mancherlei Hinsicht großartig. Aber nur eigentlich, denn natürlich ist dies die künstlerische Verdichtung einer ver-rückten Welt, in der die meisten von uns ihr Leben im vergoldeten Tretrad einem vollkommen sinnentleerten Ratten-Rennen hingeben.
Das zeigt sich naheliegender Weise in den verschiedenen Ansätzen zur Erforschung des Glücks. Vor allem ist da erst einmal der Tatbestand des mangelnden Zusammenhangs von Reichtum und Glück, volkswirtschaftlich betrachtet von Bruttosozialprodukt und nationalem Glückserleben. Immerhin hat sich das weltweite Bruttosozialprodukt in den 30 Jahren von 1983 bis 2013 mehr als versechsfacht. Hätten all die schlauen und so aberwitzig rationalen Ökonomen Recht, müsste sich auch das Glückserleben deutlich gesteigert haben. Man mag den Zahlenpriestern und Homo oeconomicus Fanboys noch zugestehen, dass es keineswegs ein linearer Zusammenhang sein muss, dass sich das Glück also nicht unbedingt im selben Maße gesteigert hat. Aber eben doch eindeutig und unmissverständlich. Die Lebenszufriedenheit hat sich jedoch nicht vervierfacht, verdreifacht, ja nicht einmal verdoppelt. Sie ist um ein jämmerliches Tausendstel gestiegen. Jensen und Scheub kommentieren dies treffend lakonisch: „… vernichtender kann die Bilanz unseres Wirtschaftssystems nicht ausfallen.“ (S. 14)
Bei all den Messungen stellt sich die Frage: Was macht Menschen eigentlich glücklich? International kommt es immer wieder zu denselben Glücksbringern: Stabile menschliche Beziehungen, Gesundheit, sinnstiftende Tätigkeit (→ „Affenmärchen“ über Sinnkopplung im Beruf), Selbstentfaltung, Mitbestimmung (→“Das Semco-System„), das Erleben gesunder Natur und last not least eine kooperative, nichtmaterialistische und altruistische Lebenseinstellung. Wer dies zumindest in Teilen erleben darf, hat gute Chancen eher gesund zu bleiben, ist meist kooperativer, kreativer, lernfähiger und natürlich vertrauensvoller. Alleine diese Ergebnisse sollten auch den untalentiertesten Ökonomen zu denken geben. Dem ist aber nicht so. Nein, nein, die Ökonomen sind da äußerst robust und widerstandsfähig. Sie blicken mit ihrer pseudorationalen Denke nur auf einen winzigen Ausschnitt der Welt.
Das Ergebnis dieser mental-kognitiven Selbst- und Fremdverstümmelung: Der gesamte Bereich nichterwerblicher täglicher, globaler Arbeit wird einfach nicht ins Bruttosozialprodukt addiert. Dabei errechnete beispielsweise das statistische Bundesamt schon 2003, dass unbezahlte Hausarbeit, wenn man den Nettolohn einer Haushälterin zugrunde legt, das Bruttosozialprodukt um fast 40 Prozent steigern würde. Dann fehlen aber noch all die Millionen Stunden freiwilliger ehrenamtlicher Tätigkeiten in der Fürsorge und Pflege, in Jugendprojekten und natürlich im gigantischen Bereich der Umweltarbeit. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Unbezahlte, ehrenamtliche Arbeit übersteigt bei weitem die klassische Erwerbsarbeit. Was würde wohl passieren, wenn wir weltweit von heute auf morgen diese angeblich nicht produktive Arbeit einfach lassen würden?
Und dann ist da noch das klitzekleine Problem der Einkommensungleichverteilung und die daraus entstehende immer schneller zunehmende Spanne aus Arm und Reich. Die Autorinnen verweisen auf die bahnbrechende Studie von Wilkinson und Pickett (→“Gleichheit ist Glück„), die in akribischer statistischer Arbeit zeigen konnten, dass diese Ungleichverteilung eine Kaskade an negativer gesellschaftlicher und eben auch ökonomischer Effekten auslöst: Gemeinschaft, soziale Beziehungen und Vertrauen erodieren, Krankheit und Drogenkonsum sowie Kriminalität nehmen zu, schulische Leistungen sinken und Teenagerschwangerschaften häufen sich.
Im weiteren hauptsächlichen Verlauf ihres Buches entfalten Jensen und Scheub ein inspirierendes und ermutigendes Feuerwerk an alternativen Formen menschlicher Wirtschaft. Der Begriff der Glücksökonomie, der mich im ersten Moment abschreckte, wird für mich allmählich ein ernstzunehmender Kandidat, um all die vielen, schillernden, menschlich reichen alternativen Konzepte zusammenzufassen, die mir in den letzten Jahren über den Weg gelaufen sind: Solidarische Ökonomie, Gemeinwohlökonomie (→“Gemeinwohl-Ökonomie„), patentfreie Produktion, Citizen Science (→“Citizen Science„) und natürlich alternative Währungen. All diese Beispiele sind ein weiterer Beleg dafür, dass Harald Welzer mit seinem Buch →“Selbst denken“ richtig liegt: Es gibt keinen Masterplan zur großen Transformation unserer Gesellschaft, sondern vielmehr hunderte, tausende Ansätze, wie wir die Welt ändern können. So haben wir am „Scheideweg zwischen Verderben und Glück“ selbst viele tägliche Möglichkeiten, eine zukünftige Glücksökonomie mit aufzubauen.
Fazit: Ein Buch für alle, die sich nach einer alternativen, menschlichen Wirtschaft sehnen. Ein Buch für alle, die Inspiration suchen, wie wir anders wirtschaften und leben können.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch
Jensen, A.; Scheub, U. (2014): Glücksökonomie. Wer teilt hat mehr vom Leben. oekom. Gebunden, 320 Seiten. € 19,95
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