Die notwendige Revolution

Liebe Leserin, lieber Leser!

Beide kenne ich und schätze sie: Erstens, den Carl-Auer Verlag, bei dem ich selbst schon zwei Bücher veröffentlicht habe, unter anderem das „Management von Nichtwissen in Unternehmen“. Und zweitens, den Hauptautoren dieses Buches, der mir durch seine mittlerweile zum Beratungsstandard etablierten Werke „Die fünfte Disziplin“ und „Das Fieldbook zur fünften Disziplin“ bekannt ist. Senge hat sich weltweit einen Namen als erfolgreicher systemischer Berater von Unternehmen, NGOs und Regierungsorganisationen gemacht. Zudem lehrt und forscht er seit geraumer Zeit als Senior Lecturer zu Führung und Nachhaltigkeit an der MIT Sloan School of Management. 2008 veröffentlichte er gemeinsam mit seinen Ko-AutorInnen „Die notwendige Revolution“. 2011 erschien dann im Carl-Auer Verlag die lang erwartete deutsche Übersetzung. 464 Seiten – das ist ein Wort, beziehungsweise ziemlich viele. Aber die Lektüre lohnt sich und ist in unserer Zeit dringend nötig.

Zunächst ein kleiner inhaltlicher Überblick über dieses fulminante Werk: Teil eins widmet sich dem „Ende und Neuanfang“, Teil zwei lautet „Die Zukunft ist jetzt“, Teil drei fordert zum „Anfangen“ auf, Teil vier bietet die Möglichkeiten „Systeme (zu) erkennen“, Teil fünf fordert „Grenzübergreifende Kooperation“, Teil sechs führt „Vom Problemlösen zum kreativen Gestalten“ und der abschließende Teil sieben fokussiert „Die Zukunft“.

Einem Mantra gleich, völlig zu Recht, verweist das Autorenteam immer wieder darauf, dass unsere heutigen gewaltigen Probleme nur durch grenzüberschreitende Kooperationen zwischen verschiedenen Personen und Institutionen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären gelöst werden können (schließlich verweist auf diese Notwendigkeit auch der Untertitel dieses Buches). Und da überrascht es sicherlich nicht nur mich, dass es diese Zusammenarbeit bereits in faszinierenden Formen zwischen Unternehmen, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen gibt. Was mich zum nächsten Absatz führt:

Es gibt viele spannende und differenzierte Fallbeispiele, neben all der gut aufbereiteten Theorie: BMW, BP, Coca-Cola, Costco, DuPont, General Electric, Harley Davidson, Hudson Bay Company, Nike, Unilever – um nur die bekanntesten aufzulisten. Damit erstrecken sich die Beispiele auf verschiedene Unternehmensbranchen, so dass praktisch jeder etwas aus seinem Bereich mitnehmen kann (wobei es ja durchaus interessant ist, von anderen Branchen zu lernen…): Automotive, Chemie, Energie, Handel, Konsumgüter, Lebensmittel, … Über Unternehmensbeispiele hinaus berichten Senge und sein Team auch von äußerst interessanten und lehrreichen Projekten von Nichtregierungs- und Regierungsorganisationen. Und das alles wiederum aus verschiedenen Ländern und Kontinenten. Die Beispielpalette ist in ihrem Reichtum nicht mehr zu überbieten. Mich hat dabei am meisten gefreut, viel Gutes auch über Unternehmen zu lernen, die ich bislang eher kritisch gesehen haben. Und dass mir diese positive Fülle Mut macht, meine eigene Arbeit weiterzuverfolgen. Großartig!

Bei einem derart umfassenden und komplexen Werk, wäre es ein Wunder, wenn ich nichts zu meckern hätte: So schreiben die AutorInnen wiederholt, Nike leide immer noch unter Imageproblemen aus seiner Zeit mit menschenverachtenden Produktionsbedingungen – nun, sorry, aber das hat Nike selbst zu verantworten. Niemand hat die Unternehmensführung gezwungen, die Kosten maximal zu senken, indem widerliche Produktionsbedingungen auf Kosten der Mitarbeiter der Zulieferer durchgesetzt werden, damit die Gewinne möglichst üppig ausfallen. Zur selben Zeit hat schließlich Yvon Chouinard mit seinem nachhaltigen Outdoor-Unternehmen „patagonia“ bereits sozial-ökologisch nachhaltig entwickelt, produziert und vertrieben (mehr darüber in meiner Rezension →“Lass die Mitarbeiter surfen gehen„).
Erstaunt hat mich auch die Aussage, alle Stakeholder würden sich für Nachhaltigkeit interessieren. Tatsächlich? Da frage ich mich, warum immer noch die meisten Menschen bei Unternehmen einkaufen, die alles andere als sozial-ökologisch nachhaltig gelten dürfen – Stichwort Lebensmitteldiscounter!
Ebenso fragwürdig erscheinen mir Studienergebnisse, auf die die Autorinnen verweisen, denen zufolge mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer wert darauf legen würden, bei nachhaltigen Unternehmen zu arbeiten. Dann dürften in Deutschland sicher nicht Amazon, Apple, Daimler oder Porsche zu den beliebtesten Arbeitgebern zählen. Denn all diese Unternehmen haben noch eine Menge Hausaufgaben in Sachen Nachhaltigkeit vor sich – Stichwort: Arbeitsbedingungen bei Foxconn oder auch bei uns in Deutschland (Amazon), Minderwertigkeitskompensationsgeschosse (ein tolles Wort von Gernot Pflüger) mit über 300 PS und bis über 30 Liter Spitzenverbrauch…
Etwas kurzsichtig ist auch die mangelnde Differenzierung bei der Motivation für nachhaltiges Wirtschaften. Senge und KollegInnen verweisen immer wieder darauf, dass Nachhaltigkeit auch ökonomisch äußerst lukrativ sei. Das glaube ich auch, aber was wäre, wenn sich eines Tages doch das Gegenteil herausstellen würde? Schwenken dann alle rein finanziell motivierten Unternehmen schnell wieder um auf krankes Wirtschaften?
Last not least: Der Nachhaltigkeitsbegriff ist zumeist ökologisch geprägt. Die Arbeitsbedingungen kommen kommen als sozialer Faktor von Nachhaltigkeit eindeutig zu kurz. Womit wir bei einer mangelhaften Kritik an den bestehenden Unternehmensstrukturen und -kulturen wären. Wenn langfristige Visionen gemäß Senge dem Top-management vorbehalten bleiben sollen, dann werden wir auch in Zukunft nur mangelhaftes Mitarbeiter-Engagement erleben, so wie es viele aktuelle Studien belegen. Hier sind wir mittlerweile schlauer und wissen doch, dass Massenentscheidungen unter Einhaltung bestimmter Kriterien deutlich effektiver und treffsicherer sind, als Expertenentscheidungen.

Fazit: Dieses Buch gehört in jedes Buchregal von Unternehmern, Geschäftsführern, Vorständen, Politikern, Aktivisten und sogar allen engagierten Mitarbeitern. Es ist ein weitreichendes, inspirierendes Werk, dass neben der Motivation durch hervorragende Fallbeispiele auch eine Fülle von Werkzeugen zur Umsetzung der „notwendigen Revolution“ bietet. Unbedingte Leseempfehlung!

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

 

Senge, P. et al. (2011): Die Notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen. Carl-Auer. 464 Seiten, gebunden. 49,90 €

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